Overqualified for life", singt Yoko Ono auf der Platte Walking On Thin Ice. Soziologisch interessierte Menschen wie ich hören sich diesen Song immer wieder an, vor allem, seit Richard Sennet 1995 das Ende der Soziologie verkündet hat. Seine Begründung: Sie habe es verabsäumt, lebensfähige Begriffe zu entwickeln, beschränke sich auf ein - in sich überqualifiziertes - Operieren in Schemata und Statistiken (in "Realfaktoren") und sei unfähig, zu den tieferen Hintergründen der Zeiterscheinungen, ihren realen geistigen Ursachen und Strömungen (den "Idealfaktoren") durchzustoßen.

Nun mag es durchaus Gründe geben, Sennets Argumente in Zweifel zu ziehen, als Beobachter/Teilnehmer einschlägiger Symposien und Seminare wird man jedoch zumindest zugeben müssen, dass es an Symptomen für die Berechtigung seiner Kritik nicht mangelt.

Ich erinnere mich etwa noch deutlich an das Seminar "Der Kampf um Arbeit" beim vorjährigen Forum Alpbach, das dem Thema "Die zerrissene Gesellschaft" gewidmet war. Die Seminarleiter stellten den Anspruch, die Situation der Arbeitsgesellschaft grundsätzlich zu analysieren und mittelfristige Maßnahmen zu entwerfen. Tatsächlich war Analyse dann kaum ein Thema, man beschränkte sich weitgehend auf Planspiele: höhere oder niedrigere Inflation, Steuerung des Leitzinssatzes, Steuerpolitik und Währungseingriffe. Das Instrumentarium war das der klassischen Volkswirtschaftslehre.

Dieses Instrumentarium ist, daran zweifle ich nicht, für akute Navigationsprobleme durchaus notwendig und brauchbar. Ich frage mich nur: Reicht dieses Instrumentarium - wie es Konsens der Lehrenden zu sein schien - wirklich aus, um auch den Kurs und das Ziel des Schiffes zu bestimmen? Ergeben sich die Zielräume von selbst aus der Praxis? Oder braucht es angesichts der Neuerungen, die heute sichtbar werden - Stichworte: Verschwinden der Arbeit, weitgehendes Scheitern des "Arbeitsmarktes", radikale Wertverschiebung von Erwerb auf Sinn -, auch Denkversuche, die, gleichsam von vorne beginnend, wieder ganz im Grundsätzlichen ansetzen: bei der Neubestimmung der Inhalte von Begriffen?

Das soziologische Denken der vergangenen Jahre ist bis auf Ausnahmen nicht mehr schöpferisch, sondern nur betrachtend. Ein zeitgemäßeres Denken müsste nicht nur bewährte Realmaßnahmen auf neue Situationen anwenden, sondern auch versuchen, an den neuen Sachverhalten neue Begriffe zu bilden.

Was ist "Arbeit"?

Ein solches Denken müsste also etwa den Begriff "Arbeit" neu konzipieren und ganz grundsätzlich fragen, ob er seinem Wesen nach überhaupt in das ökonomische Wertgesetz von Angebot und Nachfrage hineinfällt, oder ob er nicht in Wirklichkeit in die Kultursphäre gehört. Ist Arbeit ein Tauschgegenstand, der z. B. gegen Geld verkauft werden kann? Oder eine Angelegenheit der sinnhaften Selbstverwirklichung?

Dann allerdings wäre Arbeit nicht länger als marktgebundener Wertschöpfungsfaktor zu begreifen, sondern als Individualrecht ohne grundsätzliche Erwerbsbindung. Und dies wiederum würde folgerichtig zu Überlegungen über die Entkopplung von Arbeit und Einkommen führen (an denen beispielsweise der Jerusalemer Professor David Macarov seit Jahren - weitgehend auf sich allein gestellt - bastelt).

Die ursprünglich "rein theoretischen" Überlegungen, was es inhaltlich mit dem Begriff "Arbeit" auf sich hat, hätten also zuletzt soziale Folgen, die ebenso konkret wie weitreichend wären.

Faktum ist: Die Sozialwissenschaft ist gegenwärtig zwischen Realfaktoren und Idealfaktoren zerrissen. Die Ersteren ohne die Letzteren bleiben Sozialtechnologie, die Letzteren ohne die Ersteren Sozialfantasie.

Die Frage, ob und wie diese beiden Faktoren zusammenfinden, wird über die Zukunft der Sozialwissenschaften entscheiden.

Roland Benedikter ist Mitarbeiter des "Forums für Sozialästhetik" Innsbruck-Bozen.
*) Mit den Barrieren solch grundlegender Erneuerungen und Veränderungen im "Unternehmen Österreich" befasst sich auch eine von Wissenschaftern des Föhrenberg-Kreises entworfener Problemkatalog, der den Spitzenkandidaten der wahlwerbenden Parteien zur Stellungnahme vorgelegt wurde, und den wir ab morgen, Samstag, an dieser Stelle in einer fünfteiligen Serie publizieren.