Hamburg/Wien - "Mit dem Beschleuniger TESLA könnte man zum Anfang der Zeiten vordringen, unmittelbar zum Urknall", berichtet Wilhelm Bialowons (Technischer Koordinator von TESLA), "und in einer zweiten Anwendung könnte man erstmals Filme von Molekülveränderungen aufnehmen und etwa sichtbar machen, wie ein Virus eine Zelle angreift." Zumindest auf dem Reißbrett gibt es die Wundermaschine - TESLA steht für "Terra-electron-Volt-Energy Superconducting Linear Accelerator" -, die beim Deutschen Elektronen-Synchroton (DESY) in Hamburg bis zum Jahr 2011 errichtet werden soll und deren technischer Design-Report am Wochenende vorgestellt wurde: In zehn bis 30 Kilometern unter der Erde soll ein 33 Kilometer langer - gerader - Tunnel gebohrt werden. Vom einen Ende werden Elektronen losgeschickt, vom anderen ihre Antimaterie-Gegenstücke: Positronen. Durch elektromagnetische Felder nahe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, sollen beide in der Mitte des Tunnels mit Energien kollidieren, wie sie eine Billionstelsekunde nach dem Urknall herrschten. "Damit stößt man in einen Zeitbereich vor, den man mit astronomischen Mitteln - optischen und Radioteleskopen - nicht erreichen kann, weil damals die Massendichte so hoch war, dass keine Wellen entweichen konnten", erklärt Bialowons, "aber mit sauber zusammengebrachten Elektronen und Positronen kann man es nachstellen": Sie vernichten sich gegenseitig, und was dann aus dieser Energie wieder entsteht, könnte etwa ein Higgs-Teilchen sein, jenes vielgesuchte Mysterium, von dem man vermutet, dass es allen Teilchen Masse verleiht. "Man könnte auch fragen, warum ein Proton - es besteht aus drei Quarks - exakt die gleiche Ladung hat wie ein Elektron, ein Teilchen aus einer ganz anderen Familie", gibt Bialowons ein anderes Grundlagen-Exempel, "und es muss sie haben, sonst gingen sie nicht zu stabilen Wasserstoffatomen zusammen, und es gäbe keine stabile Welt." Aber mit den dazu benötigten Elektronenstrahlen von extrem hoher Qualität kann man noch etwas ganz anderes machen, einen Röntgenlaser speisen, der wie eine Stroboskoplampe noch nie Gesehenes zu Augen führt: "Mit bisherigen Methoden - Synchrotonlicht - kann man von molekularen Vorgängen nur statische Aufnahmen machen, man muss etwa ein Enzym kristallisieren und lange bestrahlen", erklärt Bialowons: "Mit TESLA kommen wir mindestens eine Generation weiter und vom Foto zum Film, in dem man etwa auch beobachten könnte, wie Katalysatoren funktionieren." ÖS 53,5 Milliarden Bis dahin wird es allerdings noch zehn Jahre dauern. Mit der Vorlage des Design-Berichts geht die Maschine in eine einjährige wissenschaftliche Begutachtung, dann muss die deutsche Regierung entscheiden, ob sie die Hälfte der Kosten übernimmt - insgesamt: 3,9 Milliarden Euro, 53.5 Milliarden Schilling -, der Rest muss in der übrigen Welt zusammengekratzt werden. "So eine Maschine baut die Menschheit nur einmal", erklärt Bialowons: Im Unterschied zu älteren Beschleunigern könnte sich die Erde keinen zweiten leisten, aber würde er jetzt nicht gebaut, ginge das Wissen verloren. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 27.03.2001)