Die bisher weltweit einzige Darstellung so genannter "Lesesteine" entdeckte Franz Daxecker, Professor an der Innsbrucker Augenklinik, im Rahmen eines Forschungsprojekts auf einem 500 Jahre alten Altarflügel im Prämonstratenser Chorherrenstift Wilten (Tirol). Auf einem Flügel des um 1485/90 von Ludwig Konraiter gestalteten Ursula- bzw. Marien-Altars ist auch die Heilige Ottilie zu sehen. Ihr Kennzeichen als Schutzpatronin der Sehkranken und Blinden sind üblicherweise zwei Augen, die sie auf einem Buch trägt. Doch Konraiter ersetzte die Augen durch zwei Lesesteine. Die gefassten, ovalen Linsen stellte er mit ihren optischen Eigenschaften dar: Die darunter liegende Schrift ist vergrößert wiedergegeben. Die ersten "brauchbaren Brillen" wurden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Venedig hergestellt. Die älteste gemalte Brillendarstellung stammt aus 1352 vom italienischen Maler Tommaso da Modena. Im deutschen Sprachraum ist es die so genannte "Nietbrille" - die Holzfassung wurde durch eine Niete zusammengehalten - auf dem um 1370 gemalten Altar des Schlosses Tirol bei Meran. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.03.2001)