"Fünfzehn denken besser als einer." Nach diesem Credo gestaltet die aus der Steiermark gebürtige, in Rekordzeit an der WU Wien habilitierte und mit 34 Jahren auf den Lehrstuhl für Privatrecht nach Klagenfurt berufene Wirtschaftsjuristin Susanne Kalss ihr größtes Projekt - den ihr im Vorjahr als bislang einziger Frau zuerkannten START-Preis des Wissenschaftsfonds. Zwölf Millionen Schilling stehen Kalss somit zur Verfügung, um im Ländervergleich der EU-15 herauszufinden, welche Rechtsvorschriften für Kapitalgesellschaften - AG und GmbH - im globalen Wettbewerb der Wirtschaftstandorte und Börsenplätze optimal wären. Die Maxime der jungen Universitätsprofessorin inspiriert sie auch als Teamleader: "Die Juristerei und ihr auf Einzelleistung abgestelltes Evaluierungssystem fördern die Eigenbrötelei." Im Team könne hingegen eine viel besser durchdrungene Darstellung erarbeitet werden. Eine solche Arbeitsweise erfordert Integrationskraft und Kreativität. Auf der Teamebene bedeutet das "eine gemeinsame Grundlinie finden, Positionen gemeinsam entwickeln. Das ist ein aufwendiger Prozess mit Kompromissen und dem Bewusstsein, dass der Beitrag des anderen besser sein kann." Innovative Didaktik also als Zusatznutzen für Susanne Kalss' START-Team, bestehend aus zwei Mitarbeitern und vier Dissertanten bzw. Erasmus-Studenten. Glücksfall EU-Beitritt Auf der wirtschaftsrechtlichen Ebene geht es darum, zu untersuchen, in welchen sozioökonomischen Entwicklungen die jeweils geltenden Regelungen der Länder begründet sind und ob nicht manche, die sich besonders bewährt haben, auf andere Wirtschaften transponierbar wären. Im Gespräch betont Susanne Kalss immer wieder die "Glücksfälle", die ihrer Karriere von Anfang an Fokus verliehen: der EU-Beitritt Österreichs und die Chance, während ihrer Assistenz bei Professor Peter Doralt an der WU-Wien bei der Vorbereitung des Gesetzes für die EU-Anpassung des österreichischen Aktienrechts mitzuhelfen; dazu mehrere Gelegenheiten, "der Wissenschaft zu frönen, meine Interessen wahrzunehmen und zu gewichten", etwa in Florenz am europäischen Hochschulinstitut, wo sie "auf einer sonnigen Terrasse mit Blick auf die Kuppel des Doms bei einem Cappuccino über Aktienrecht nachdenken konnte. Als Initialzündung für die START-Idee, "das österreichische Aktien- und GmbH-Recht im nationalen und europäischen Umfeld mit Blick auf möglichen politischen Änderungsbedarf" aufzuarbeiten, nützte Kalss das bahnbrechende Centros-Urteil (1999) des Europäischen Gerichtshofes. Demnach kann der Sitz und somit der Rechtsstandort einer Firma überall in der EU angesiedelt sein, ungeachtet dessen, wo die tatsächliche Geschäftstätigkeit entfaltet wird. Fortan können Unternehmen das förderlichste Rechtssystem frei wählen. Gut geschulte Beamte Davon hängt viel ab. Etwa, wenn Gesellschafterrechte für den Konfliktfall gesetzlich klar geregelt sind und nicht erst über einen Anwalt teuer erstritten werden müssen. "Für ein Unternehmen geht es dabei um Millionen, für die Volkswirtschaft um Milliarden", sagt Kalss. Schon zeichnen sich in dem Oktober 2000 angelaufenen Projekt erste Erkenntnisse ab: Das österreichische Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht hat sich demnach weitaus eigenständiger von Deutschland entwickelt, als man bislang angenommen hat. In vielen Fällen ließ sich die deutsche Gesetzgebung von den Ideen der "unvorstellbar gut geschulten" Höchstbeamten der k.u.k. Justiz inspirieren. Susanne Kalss, die ihre Lehrverpflichtungen in Klagenfurt und Wien, das START-Projekt und ein mit Sport, Natur und Kultur erfülltes Eheleben unter einen Hut zu bringen vermag, reizt an ihrer Arbeit die Möglichkeit zu einem wesentlichen Gestaltungsbeitrag: Europa steht vor der Herausforderung, sich als Global Player gegenüber den einheitlicher organisierten und durch die Sprache verbundenen USA durchzusetzen. Und Österreich muss in puncto rechtlicher Rahmenbedingungen so attraktiv bleiben, dass Investoren nicht in ein paar Jahren den rasch aufholenden neuen Marktwirtschaften den Vorzug geben. Biografie: Susanne Kalss Geboren 1966 in St. Martin am Grimming, Steiermark. 1984-1989 Studium der Rechtswissenschaften, Uni Wien. 1990-1991 Masters-Studium, Europäisches Hochschulinstitut Florenz. 1996: APART-Stipendium: Forschungsaufenthalt Max-Planck-Institut, Hamburg. Jänner 2000 Habilitation. April 2000 Professur an der Uni Klagenfurt, Privatrecht. START Preisträgerin 2000. susanne.kalss@uni-klu.ac.at (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.03.2001)