Wien - "Man muss abenteuerlustig und ein bisschen verrückt sein und darf nicht darüber nachdenken, was alles schief gehen könnte", sagt Dagmar Selinger. Sie und 22 andere Lehrer aus Österreich folgten im August 1998 dem Ruf der New Yorker Schulbehörde und unterrichteten für mindestens ein Jahr an öffentlichen Schulen des Big Apple. Seitdem haben weitere 189 Kollegen das Abenteuer Amerika gewagt. Mit dem Programm machten die Behörde, das Unterrichtsministerium und die Austrian-American Educational Cooperation Association AAECA aus der Not eine Tugend: Dem Lehrermangel in den USA wurde mit Pädagogen aus Österreich, das einen Lehrerüberschuss hatte, entgegengewirkt. Die gefragten Fächer sind Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Geographie, Musik und Bildnerische Erziehung. Für Dagmar Selinger kam das Angebot wie gerufen. Denn mit einem Abschluss in Biologie und Erdwissenschaften in der Tasche erhielt sie nach dem Probejahr die Hiobsbotschaft: Mit einem festen Job in Österreich sei in den nächsten fünf Jahren nicht zu rechnen. Kurzerhand verkauften sie und ihr Mann das Auto, vermieteten das Haus und stiegen ins Flugzeug - "ohne viel nachzudenken, denn die Zeit hatten wir nicht". Auf dem New Yorker Flughafen wurden sie von einem Blitzlichtgewitter begrüßt. "Es herrschte Pionierstimmung", beschreibt die 30-Jährige. Die ersten Wochen waren hart: Dagmar Selinger hat fünf Kilo abgenommen und "von New York nicht viel gesehen". Obwohl sie nach der Matura ein Jahr in Amerika verbracht hatte und an der Uni nebenbei Englisch studierte, fiel ihr die Sprachumstellung schwer. Die Situation an den amerikanischen Schulen empfand sie als komplett anders als in Österreich. Besonders problematisch seien die nationalen Spannungen in den Kursen. "Ich weiß gar nicht aus wie vielen Ländern die Schüler stammten, die ich unter einen Hut bringen musste", sagt sie. Die Erwartungshaltung der jungen Amerikaner sei enorm: "Man muss aus ihrer Sicht so gut unterrichten, dass sie zu Hause nichts mehr tun müssen", erklärt die Lehrerin. Die Einwanderer seien dagegen sehr engagiert, da sie sich ein komplett neues Leben aufbauen müssten. Der in Amerika übliche Unterrichtsstil sei extrem autoritär. "Man stellt Regeln auf und muss die ziemlich militärisch durchsetzen", erklärt sie. Die Stunden seien nach Kurs-, nicht nach Klassensystem organisiert. Aus Platzgründen seien die Stunden in ihrer Schule im Stadtteil Queens im Schichtbetrieb abgehalten worden, bei 4500 Schülern nicht weiter verwunderlich. Auch Richard Mesaric ist ein Mann der ersten Projekt-Stunde. Er hat in Amerika die starke Schulgemeinschaft als besonders positiv empfunden. Um ihren Abschluss zu bekommen, mussten die Schüler an seiner Brooklyner Schule nicht nur Leistungs-, sondern auch "Sozialpunkte" sammeln. Schockiert hat ihn das Leistungsgefälle in der Gesamtschule, in der von den Sonderschülern bis zu den Gymnasiasten alle unter einem Dach unterrichtet werden. "Für viele ist die Schule Nebensache, weil sie zu Hause den gesamten Haushalt bestreiten", erklärt Mesaric. Er hat in New York sein im Studium verpasstes Auslandsjahr nachgeholt und persönlich davon profitiert. "Ich kann mich einfach besser verkaufen als zuvor", sagt er. In Wien kann er seine Amerika-Erfahrung auch beruflich voll umsetzen: Seit seiner Rückkehr vor zwei Jahren arbeitet er beim Schulprojekt "Vienna Bilingual Schooling" (VBS) und unterrichtet in beiden Sprachen. "Ich hatte einfach Glück. Auf dem Silbertablett wird einem nichts präsentiert, wenn man zurückkommt", warnt er. Trotzdem würde er das Abenteuer Amerika auf jeden Fall wieder wagen. AAECA Auerspergstraße 15/ 32 1080 Wien Tel. 408 78 12 aaeca@eunet.at AAECA (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 27.03.2001)