Inland
Bilder einer Landesausstellung - von Johann Skocek
Österreich lebt nicht schlecht vom Fertigen und Verteilen der Bilder über sich selbst
Eine Lieblingsübung der politischen Kommentatoren ist, nachher genau zu wissen, was andere Menschen warum gemacht haben. Wien, wissen sie beispielsweise, hat gegen das Klima der FPÖ-Kampagnen abgestimmt. Tatsächlich? Schön wär's, wenn's so einfach wäre. Kann es nicht vielmehr sein, dass die den Wählern zugeschriebene Entscheidung aus den gemutmaßten Gründen des Widerstandes gegen Verhetzung, Antisemitismus und Nulldefizitbugdetschusterei so nie stattgefunden hat? Was ist, wenn so mancher Wiener am Wahltag auf dem Spaziergang durch die Bildersammlung seines Lebens ein Stillleben seines Geschmacks ausgesucht hat: ein Bild, in dem er sein (nicht zuletzt von den Wendepropheten vernadertes) Bedürfnis nach Ruhe, Sicherheit, Menschenwürde wiederfindet.
Ein Bild, in dem ein kleiner, pummeliger, gemütlicher Mann im Vordergrund steht, der mit einem glücklichen Lächeln seufzt: "Das ist eine große Geschichte." Das Bild mit dem kleinen, dünnen Mann im Bierzelt, der seine Dämonen durch die Reihen der Holztische mit den Biertrinkern und Brathendln treibt, hat der Wähler weggezappt. Es war lästig, unangenehm, seine Faszination der Menschenverachtung drohte die Behaglichkeit des Blicks in den Badezimmerspiegel zu beeinträchtigen. Aber sollte die Unterhaltungsgesellschaft von der Langeweile überwältigt werden, braucht es nur einen Knopfdruck, und der spitznasige Kobold ist wieder Prime Time.
Österreich wirkt in diesen und allen Tagen wie eine von einem allgegenwärtigen Sammler zusammengetragene Anhäufung von Bildern. Da wäre das Bild der absoluten Macht: Die SPÖ ist in Wien wieder mit ihr ausgestattet worden, und prompt malt sie ein Zeichen an die Wand, als wollte sie damit nicht alleingelassen werden. Doch ein Bild ist nichts außer der Betrachtung durch die Betrachter, und so macht die absolute Macht den (vergleichsweise) Ohn-Mächtigen Angebote zur Mitarbeit, und die schauen sich die Macht an und schütteln den Kopf.
Wie viel hat nicht Österreich den oberflächlichen, touristisch-zugkräftigen Bildern seiner selbst zu verdanken, von der Alpenidylle des "Sound of Music" über die pseudoreligiös verbrämte, mittels modernster Technik transportierte Schnulzenbotschaft des Neujahrskonzertes bis zum "ersten Opfer". Wie oft wurde in den vergangenen Jahren, mit Larmoyanz seit der Affäre Waldheim, mit Bitterkeit seit den "EU-14-Sanktionen" im Inland über die "falschen" Österreich-Bilder gejammert. Aber was ist falsch daran, wenn man nicht sagen kann, was richtig wäre? Woraus besteht das Bild des modernen Österreich? Aus Hermann Maier oder Coop Himmelb(l)au? Aus Kurt Krenn, der den Kirchendialog als Frontalunterricht versteht? Oder aus Michael Grassers vorletztem (und nächstem?) Arbeitgeber Frank Stronach, der Arbeitnehmerrechte durch Unternehmergoodwill ersetzt und sich über das Sponsoring der Wiener Austria, Michael Häupls Verein, ein positives Image erkaufen möchte - ein im Dienste kommerzieller Interessen fabriziertes Bild?
Besteht der politische Diskurs in Österreich aus Rede und Widerrede vernünftiger Menschen oder aus dem Austausch von Motiven aus Märchen und Mythen, heute aus dem Bilderstreit zwischen Wien, Gandalfs Reichs der Guten, und Kärnten-Isengart, dem Heim der finsteren Orks?
Heute findet ein Länderspiel zwischen Österreich und Israel statt, der Fußball bietet die Bühne für ein lebendes Bild gespielter Normalität. Kein Gedanke regt sich hier, kein Wort, kein Kommentar zu dem das Bild Österreichs trübenden Grundton des Antisemitismus. Möglicherweise besteht eine kleine Besonderheit darin, dass Österreich seine im Eigenbau angefertigten Selbstbilder talentierter sammelt und interpretiert als andere Nationen. Insoferne kommt es ganz gelegen, dass sich viele so sicher sind, warum die Wiener Wahl so lief, wie sie lief. Es passt ins Bild. (Johann Skocek, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.3.2001)