Kaum 30 Tage vor dem Wahltag zaubert die FPÖ einen Spitzenkandidaten aus dem Hut, der neun Monate vorher aus persönlichen und inhaltlichen Gründen mit Getöse ein Nationalratsmandat ebendieser Partei hingeschmissen hat.

Und wie schätzen die Konkurrenten, viele Medien und die sonstige Öffentlichkeit diese Spitzenkandidatenkür ein? Als merkwürdige Absurdität? Weit gefehlt: als bedeutungsschweres politisches Ereignis. Bundeskanzler Klima warnt "vor einer radikalen Wende in Richtung Schwarz-Blau", die ÖVP beschwört im Gegenzug einen Umsturz, aber in Richtung Rot-Blau; über so viel kommentierte Regierungsfähigkeit, Wandel in Richtung "staatstragende Charakterisierung" kann sich die FPÖ nur freuen.

Was müsste es eigentlich für einen Aufschrei geben, wenn jemand nur neun Monate vorher seiner Partei zuerst den Gang zum Konkursrichter empfiehlt und aus persönlichen und politisch-inhaltlichen Gründen alles hinschmeißt, aber dann dieselbe Partei denselben Ex-Abgeordneten als großartige Überraschung der Öffentlichkeit als Spitzen- und Kanzlerkandidaten zumutet.

Ich oder ich?

Aber ist dies wirklich nur eine Frage der Glaubwürdigkeit der FPÖ und von Herrn Prinzhorn? Leider nein. Es offenbart beunruhigenderweise, wie sehr das Wählen in Österreich bereits durch Personalgags, Augenblickevents und Kurzzeitgedächtnis geprägt ist.

Noch sollten alle Wählerinnen und Wähler im Ohr haben, mit welchen grotesken Slogans die FPÖ gegen Österreichs EU-Beitritt, Euro etc. . . . wütete, während der neue Spitzenkandidat dieser politischen Zukunftsverweigerung offen entgegengetreten ist. "Froh" war und ist er hoffentlich noch immer über Österreichs EU-Mitgliedschaft und den Euro. Aber was gilt nun: die Linie der Partei oder die ihres Spitzenkandidaten?

Zu Recht widersprach er Jörg Haiders Ausländerpolitik noch 1996: ". . . hohe Arbeitslosigkeit durch Abbau von Ausländern bekämpfen zu wollen ist die dümmste Milchmädchenrechnung, die ich gehört habe; wir brauchen Ausländer wie einen Bissen Brot" (STANDARD, 5. 2. '96).

Natürlich können sich Meinungen von Parteien und Personen ändern, aber hat irgendwer in Sachen Europa oder Ausländerfrage davon etwas in der FPÖ bemerkt? EU- und Nationalratskampagne beweisen das Gegenteil. Und hier gibt es ein erschütterndes Glaubwürdigkeitsdefizit der FPÖ oder ihres Spitzenkandidaten. Oder hat Herr Prinzhorn innerhalb weniger Monate für ihn eben noch wesentliche politische Haltungen einfach nur verdrängt? Nach dem Motto: Gut ist, was der Firma hilft?

"Aufgelöst" wird diese offensichtliche Ungereimtheit nicht etwa als Neupositionierung durch parteiinterne Richtungsdiskussionen, sondern durch eine, so Prinzhorn, "Generalamnestie" des Herrn Parteiobmannes. Nichts entlarvt den Zustand der innerparteilichen Willensbildung und die offensichtliche völlige inhaltliche Beliebigkeit dieser Partei stärker als Vorgänge wie diese.

Symptom des Verfalls

Aber sie dürfen nicht nur als Glaubwürdigkeitsproblem der Freiheitlichen Parteiführung abgetan werden. Dass diese Methoden relativ "gut hinein gehen", die FPÖ mit diesen Praktiken relativ ernst genommen und womöglich erfolgreich wird, deckt auf, wie sich in Österreichs politischer Kultur die Parlamentswahl, die Wahlkampfinhalte vom eigentlichen Sinn des Wählens abkoppeln.

Nicht die Beurteilung der Regierungsarbeit der zurückliegenden Jahre, die Auswahl unter den unterschiedlichen Lösungsansätzen der Parteien für die Zukunft, nicht das Ausmaß der Vertretung von grundsatzpolitischen Werthaltungen im Parlament stehen im Vordergrund, sondern der kurzatmige Personalgag als taktischer Überraschungscoup.

Emotional hochgepushte Scheinauseinandersetzungen wie der Wahlkampf-Babyboom prägen die Wahlkampfszene. Inhaltliche Linienfragen, längerfristige Entwicklungstendenzen fallen dem politischen Kurzzeitgedächtnis und dem vordergründigen Event-Denken zum Opfer.

Dass Thomas Prinzhorn für diese negativen Tendenzen der politischen Kultur unserer Wahldemokratie als williger (?) Statist auftritt - aber als solcher nicht enttarnt wird -, ist ein hervorragendes Symptom. Allerdings nur eines von vielen: An Belegen aus anderen Parteien herrscht kein Mangel.

Den Sinn des Wählens nicht verkommen zu lassen, vor allem die inhaltliche Richtlinienfunktion der Parlamentswahl nicht untergehen zu lassen, liegt gewiss zunächst an den politischen Kräften, aber letztlich in der Verantwortung vor allem weiterdenkender Wählerinnen und Wähler.

Friedhelm Frischenschlager, Mitgründer des Liberalen Forums (nach seinem Exodus aus der FPÖ im Jänner 1993) und ehemals EU-Abgeordneter des LiF, leitet heute das Liberale Bildungsforum.