Welt
Sardinien, Insel der Methusalems
Hier häufen sich die 100sten Geburtstage - von Frauen und Männern
Washington - Am 22. Januar feierte der älteste Mann der Erde - der Sarde Antonio Todde - seinen 112. Geburtstag, im Kreis vieler
Freunde, die auch über hundert Jahre alt sind. Die Methusalems häufen sich auf Sardinien: Kommen im Rest der Erde fünf
hundertjährige Frauen auf einen gleich alten Mann, sind es an den Küsten Sardiniens nur zwei, im Inselinneren gar ziehen die
Männer gleich.
Ähnliche Geschichten hat man oft schon gehört - aus dem Kaukasus etwa oder aus China -, aber sie hielten näherer Überprüfung
nicht stand. In Sardinien hingegen konnten Demographen in den Archiven die Geburtsdaten so absichern, dass keine Zweifel
bleiben. Allerdings weiß niemand, woher das Phänomen kommt, Hypothesen über Gene konkurrieren mit Vorstellungen eines
gesunden, ruhigen Lebensstils in der Einöde der Berge.
Gesundes Leben oder Gene?
Aber so gesund und ruhig haben sie nicht gelebt, viele sind starke Raucher, die meisten haben in einem oder gar zwei Weltkriegen
gekämpft. Deshalb laufen Genanalysen an, die vor allem drei Vermutungen nachgehen. Eine sucht auf dem männlichen
Y-Chromosom mögliche Anlagen für verminderte Fruchtbarkeit: Man weiß, dass Körper, die weniger in Nachwuchs investieren,
länger leben können. Eine zweite ist gerade umgekehrt in der mitochondrialen Erbinformation (mtDNA) - sie wird nur von Müttern
vererbt - einem Schutz der Zellen vor dem Altern auf der Spur.
Die dritte Vermutung ist zunächst kontraintuitiv und sieht den Altersgrund in der hohen Inzucht: Sie könnte gesunde Gene
schwächen, die nicht auf Langlebigkeit - nach Ende der Reproduktionsfähigkeit - programmieren: Die ist nach Evolutionskriterien
Verschwendung.
Wahrscheinlicher aber ist, dass man erst einmal alt werden muss, um dann richtig alt zu werden: Im Alter von 70, 80 Jahren stellt
sich das Immunsystem um und wird in einem seiner Äste kräftiger denn je.
Wie auch immer, von den Genanalysen sind rasch Aufschlüsse zu erwarten, da auf Sardinien schon mehrere "Genparks"
existieren, Städte oder kleine Regionen, in denen sämtliche Gen- und Gesundheitsdaten analysiert werden, um Gene für auf
Sardinien häufige Krankheiten - Diabetes, Asthma, Nierensteine - zu identifizieren. Im Unterschied zur umstrittenen großen
Genmine Island gibt es unter den Sarden keine Kritik an diesen Untersuchungen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 3. 2001)