Peter Weibel, Chefkurator der Neuen Galerie in Graz, führt Klage: Das Landesmuseum Joanneum werde ausgehungert. Das Programm der Kulturhauptstadt 2003 drohe beliebig zu werden. Zudem würde ein Kartell dilettantischer Quereinsteiger die Macht übernehmen. Thomas Trenkler hörte mit Interesse zu. Bis zum 10. Dezember des letzten Jahres präsentierte der steirische herbst im ersten Stock des Joanneums die Schau Video als weibliches Terrain . Seither stehen die Räume leer: Die bedeutende kunstgewerbliche Sammlung des Landesmuseums, die eigentlich dort präsentiert werden sollte, befindet sich zur Gänze im Depot. Das Stockwerk wird auch weiterhin leer stehen - bis der herbst wieder einzieht. Mit einer von Peter Pakesch kuratierten Ausstellung. Im Joanneum macht sich daher Unmut breit: Das Museum werde, sagt man, zur Halle für Wechselausstellungen degradiert. Weil das Geld fehlt. Der steirische Kulturlandesrat Gerhard Hirschmann (VP) hob zwar heuer das Grundbudget von 35 auf 50 Millionen Schilling an, doch die beträchtlichen Sonderzuwendungen der letzten Jahre, die Vorgänger Peter Schachner-Blazizek (SP) ermöglicht hatte, wurden eingestellt: Die Renovierung und Restrukturierung des Joanneums blieb beschämendes Stückwerk. In der Not schlug man Wolfgang Lorenz, dem Intendanten von Graz 2003 , vor, die Neuaufstellung der kulturhistorischen Sammlung in Schloss Eggenberg, einer Außenstelle des Joanneums, zu finanzieren. Doch der hauptberufliche ORF-Chefplaner verweigerte die Unterstützung. Er lehnte auch noch ein zweites Projekt, eine interaktive Ausstellung für Kinder und Erwachsene, ab: "Wir wollen keine ausgestopften Tiere vorführen", sagt er nicht ohne Zynismus. Joanneum im Abseits Im Joanneum ist man enttäuscht. Das Kulturstadtjahr werde ohne das Landesmuseum stattfinden, befürchtet man. Weil die Sammlungen zum Teil nicht zugänglich sind. Weil es kein Budget für eigene Ausstellungen gibt. Und auch das Konzept von Gottfried Biedermann, dem Leiter der Alten Galerie , wie zwischenzeitlich der erste Stock des Joanneums bespielt werden könnte, wurde bisher nicht aufgegriffen. Aber es gibt noch die Neue Galerie . Und deren Chefkurator Peter Weibel nimmt sich kein Blatt vor den Mund: "Das ist ein krasses Beispiel für Delegitimierung. Der Auftrag des Hauses ist es, die Sammlungen zu zeigen. Aber man gestattet ihm nicht, diesem Auftrag nachzukommen. Man hungert es aus, zwingt es sogar per Weisung, leer zu sein. Und dann sagt man: 'Ihr seid ja leer! Also seid’s doch froh, dass der herbst die Räume bespielt.' Das ist eine Sauerei. Weil man Institutionen delegitimiert, nur um sie Machtinteressen zuzuführen." Weibels Zorn richtet sich vor allem gegen Lorenz und dessen Freund und ehemaligen Mitarbeiter Peter Oswald, Intendant des herbstes : "Es hat sich eine Art Kartell gebildet. Die Leute, die hier in leitenden Funktionen tätig sind, sind schon zu lange durch berufliche Freundschaften verbunden. Klarerweise steht die Macht eher auf Seite des Dilettantismus der Quereinsteiger, weil sie selbst keine Ahnung hat. Dadurch passen sie gut zusammen. Es ist mir egal, dass undemokratisch agiert wird, das bin ich in Österreich nicht anders gewohnt. Aber es wird gefährlich für die Qualität. Weil sich diese Leute immer gegenseitig decken." Weibel stört der Vorschlag von Lorenz, eine Holding für die Kulturinstitutionen inklusive dem geplanten Kunsthaus und dem Joanneum samt Neuer Galerie zu gründen, der bei Hirschmann auf fruchtbaren Boden fiel: "Es ist der Versuch, sich die Herrschaft auf Dauer zu sichern", warnt Weibel. Schließlich ist ungeklärt, wer das Kunsthaus bespielen soll. Und das könnte auch der herbst sein. Lorenz hingegen beteuert, nicht Holding-Chef werden zu wollen: "Ich nehme Weibels Äußerungen hin wie das schlechte Wetter." Vergiftete Seelen Der Groll des Medienphilosophen ist dabei durchaus verständlich: Weil Staatssekretär Franz Morak nicht die einst zugesagten 250 Millionen Schilling für Graz 2003 freigibt, sondern nur deren 200, wird Weibel unterstellt, er hätte die fehlenden 50 Millionen für ein eigenes Projekt abgezweigt. "Das sind Phantasmen, mit denen die Seele vergiftet wird!", sagt Weibel. Das Projekt - eine Ausstellung über osteuropäische Kunst mit dem Arbeitstitel Balkanismus , die den Eurozentrismus hinterfragt, war ursprünglich für Ende 2001 in Wien geplant und wird von Morak bloß mit fünf Millionen gefördert. Aber in der Qualität, die Weibel vorschwebt, war die Realisierung in der Zeit nicht möglich: "Da ist der Gedanke aufgetaucht, dass wir die Ausstellung erst 2003 in Graz machen. Denn Graz 2003 wollte doch die Brücke zu Südosteuropa schlagen. Und wir können vielleicht viele Besucher der Biennale Venedig zur Ausstellung nach Graz locken. Ich bringe also ein zusätzliches Angebot!" Weibel hat noch ein Projekt im Köcher: eine Großausstellung über Leopold von Sacher- Masoch ( Venus im Pelz ) plus Masochismus-Festival, an dem Lou Reed, der Venus in Furs besang, und andere Popkünstler teilnehmen sollen. "Natürlich gibt es auch große Künstler wie Wolfgang Bauer und Günter Brus, aber sie haben noch nicht diese Weltgeltung wie Sacher-Masoch. Man muss ihn zur Identifikationsfigur machen - wie anderswo Mozart oder Klimt." Doch ein solches Festival kostet zumindest 20 bis 30 Millionen, rechnet Weibel vor. Lorenz aber stellt nur deren acht bis zehn in Aussicht. Er sei, sagt er, nicht dazu da, alles auszufinanzieren. Bei einer Koproduktion müsse Weibel auch anderes Kapital herbeischaffen. Und da beißt sich die Katze ziemlich in den Schwanz: Das Joanneum bekommt zu wenig Geld ... Weibel ist daher sauer: "Mit acht Millionen kann man das Ziel nicht erreichen. Es ist für mich daher nicht einzusehen, 70 oder mehr Millionen für eine sehr fragwürdige Insel in der Mur auszugeben." Gemeint ist das Projekt einer schwimmenden Insel von Vito Acconci, für die Lorenz eifrig Stimmung zu machen versucht: Sein Büro gewann Roman Schliesser, den Exadabei, in der Krone bunt über einen Besuch bei Acconci in New York zu berichten. Die anderen geladenen Journalisten (sofern sie an der Gratisreise teilnahmen) dürfen keinesfalls vor dem Erscheinungstag (am 1. April) darüber berichten. Aber auch sie sollen Stimmung machen: Am 2. April wird das Projekt den Stadtvätern vorgestellt. Weibel hält dagegen: "Meiner Meinung nach ist die Insel Verschwendung und Verblendung. Weil sie nichts mit Graz zu tun hat. Acconci hat ein solches Projekt schon für Wien vorgeschlagen. Aber dort wurde es abgelehnt. Und ich sehe es natürlich ungern, dass Projekte, die für Wien nicht infrage kommen, nun in Graz realisiert werden sollen. Es sollte umgekehrt sein!" Lorenz kontert: "Wenn Wien das Projekt nicht zusammenbringt, dann sollte Graz es tun. Das nährt noch meinen Ehrgeiz, es zu realisieren!" Weibel wiederum: "So ein Bau ist nicht nachhaltig. Wenn ich nachhaltig sein will, muss ich das Bewusstsein in der Welt für das, was ich in Graz habe, schärfen. Deshalb bin ich ein Fan von der Kulturhauptstadt Weimar im Vorjahr: Dort wurden Goethe und das Bauhaus thematisiert - aber auch die faschistische Vergangenheit inklusive dem KZ Buchenwald. Weimar hat einen ehrlichen Umgang mit der Geschichte gepflegt. Und das fehlt mir bei Graz 2003 völlig. Die Stadt der Volkserhebung wird z. B. nicht thematisiert. Es ist ein beliebiges Programmangebot." Lorenz nennt Weibels Äußerungen kontraproduktiv, bleibt aber gelassen. Mit stoischer Ruhe vernahm er auch, dass eine Hauptattraktion von Graz 2003 nicht stattfinden wird: Hans Dichand zog das Angebot zurück, erstmals seine herausragende Bildersammlung zu zeigen... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. 3. 2001)