Wien - "Es hat den Anschein, als ob die Mädchen von den Burschen lernen würden". Die Psychologin Moira Atria interpretiert mit größter Vorsicht die Ergebnisse einer neuen Studie, die sie in Wiener Handelsschulen durchgeführt hat. Die brandneue Untersuchung zeigt, dass Handelsschülerinnen im Laufe des Schuljahres aggressiver geworden sind und gegen Ende des Schuljahrs mit den Burschen gleichgezogen haben. Gemessen wurden direkte, aber auch indirekte Aggressionsformen. Ohrfeigen. Sich prügeln. Jemandem was wegnehmen. Aber auch: die anderen sekkieren, falsche Gerüchte verbreiten oder ausgrenzen, die relationalen (beziehungsbezogenen) Formen der Aggression eben. Während es zu Schulbeginn noch deutliche Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Jugendlichen in punkto Aggressivität gegeben hatte und die Burschen höhere Aggressivitätsraten aufwiesen, zeigten die Testungen am Ende des Schuljahres, dass die Mädchen aufgeholt hatten. Gemessen wurde jeweils derselbe Mix von direkten und indirekten Formen der Aggressivität, wobei die indirekten Formen eher schwach repräsentiert waren. Weniger Aggression in AHS Moira Atria ist über ihrer Forschungsergebnisse nicht begeistert. Mädchen wie Burschen müssten lernen, Konflikte aggressionsfrei auszutragen. HandelsschülerInnen hätten, so Universitätsprofessorin Christiane Spiel, generell höhere Aggressivitätsraten als AHS-Schüler. "Das hat nichts mit dem Schultyp an sich zu tun, sehr viel aber mit den Schülern, die in diese Schultypen kommen". Ein Jahr in der Luft In den Handelsschulen landen oft auch Jugendliche, die das letzte Pflichtschuljahr nicht im Polytechnikum verbringen wollen, aber noch nicht wissen, ob sie nach dem ersten Jahr noch weiter bleiben werden. "Das bringt viel Unruhe mit sich und macht es den Jugendlichen nicht leicht, stabile soziale Beziehungen zu bilden. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen", meint Atria. Vielleicht wäre es besser, die Pflichtschule - etwa die Hauptschule - um eine weiteres Jahr zu verlängern, statt die SchülerInnen im neunten Pflichtschuljahr zu einem Schulwechsel zu zwingen. Viele Jugendliche haben vielleicht auch kein besonders geeignetes erwachsenes Vorbild, von dem sie lernen könnten, Konflikte zu lösen, vermutet Christiane Spiel. Witze statt Hiebe? "Soziale Kompetenz" muss gelernt sein. "Wenn jemand mich beleidigt, kann ich ihm eine runterhauen. Oder mich ärgern und den Ärger herunterschlucken. Oder ich schluck alles hinunter und erzähle später Böses für ihn", schildert Atria Mora herkömmliche aggressive Reaktionen auf Aggressionen. "Oder ich kann mich ganz anders verhalten. Warum nicht einen Witz erzählen? Oder die Aggressoren mit einer anderen Reaktion verblüffen. Oder mir denken, das hat eigentlich nix mit mir zu tun, sondern der ist eben mit dem falschen Fuß aufgestanden". Zeugen sind nicht neutral Für Universitätsprofessorin Spiel ist noch eines wichtig: "Dafür zu sorgen, dass die Zeugen der Aggression nicht wegschauen, sondern begreifen, dass sie sich mit dem Aggressor solidarisieren, wenn sie schweigen. Sie müssen sich ja nicht gleich dazwischenwerfen, sondern können etwa auch andere Menschen zu Hilfe holen", meint Spiel.