Der Frühlingsbeginn gäbe die Möglichkeit, über den Frühlingsbeginn zu schreiben. Doch zog mich immer schon das Zweitbessere mehr an als das Beste. Gescheiterte mehr als Erfolgreiche, die Peripherie mehr als das Zentrum, die schlechten Wörter mehr als die schönen, der schwindende Herbst mehr als der auftauchende Frühling. Deshalb fragte ich in der Filmbuchhandlung Satyr, ob sie etwas über Film und Frühling hätten, und sie zeigten mir Bücher über den Horrorfilm. An einem der zweitbesten Regisseure und Produzenten, William Castle, blieb ich hängen. "Das Wovor der Angst ist völlig unbestimmt", sagte Heidegger einmal, so allgemein und bedeutungsschwer wie immer. Umso wichtiger, diesem "Wovor" auf die Schliche zu kommen. Eine der vielen verkannten Frühjahrskatastrophen wäre da sicher gerne behilflich. Oder William Castle (1914-1977), der eigentlich William Schloss hieß, am 24. April 1914 in New York geboren wurde und es sicher ablehnen würde, im Jahr 2001 als altgedienter Kontraktregisseur im Studiosystem Hollywoods wieder ins Gespräch zu kommen. King of the B's Immerhin zählt er zu den "Kings of the B's", die im Horrorfilm und im Film Noir ihre Bestimmung gefunden haben. Selbst wenn er als Produzent von The Day of the Locust eher ins allgemeine Vergessen geraten ist, hat doch Rosemary's Baby, wo er Roman Polanski die Regie überließ, dem Horror konkretere Chancen eröffnet. Und die hatten sie nötig, der Horror und Castle. Schon mit neun Jahren musste er, von seinen Eltern ins Feriencamp geschickt, den Spott der Gleichaltrigen ertragen. Zu plump, zu ungeschickt, um Baseball oder Basketball zu spielen oder auch nur zu schwimmen. Gerade deshalb versuchte er schon früh, den Hudson River zu durchqueren, von U-Bahn-Plattformen zu springen, schließlich brannte er nach Hollywood durch. Aber er kam nur bis Albany. Ich habe Albany einmal gesehen, es erinnerte mich an St. Veit an der Glan. Alle Wege führen nicht nur nicht nach Rom, sie können geradewegs in die mittleren Höllen führen, die kaum auffallen. Das riskierte William Castle. Er wollte es ihnen zeigen und ließ fast nichts aus, kaum eine einzige Falltür. Aber die Falltüren dankten es ihm. In "13 Ghosts oder 13 durch die Zeit spukende Argumente für einen William-Castle-Kult" werden seine Chancen geklärt: 13 Chancen mehr als fast jeder andere der vergessenen oder verschwundenen Filmemacher Hollywoods. Als Hollywood immer abstrusere und unnötige Verzweiflungsschritte unternahm, um mit Marktanteilen die Television zu überbieten, gelangen ihm mit Orson Welles und Joan Crawford einige der überzeugenden Beiträge zu großer, auch tragischer Hollywood-Geschichte. Von Holly and Stone bis zu Night Walker oder House on the Haunted Hill hat er unverwechselbare Filme gedreht. Seine Naivität, auch eine gewisse Weltfremdheit und Schlichtheit waren nicht nur der Macht der Dunkelheit gewachsen, sondern auch der größeren und unbekannteren eines zu grellen und blendenden Lichts und der Verlockung, die Natur und frische Luft gegen das Kino zu mobilisieren. Edward D. Wood hatte William Castles Angorapullover und notorische Talentlosigkeit angeprangert, James Whale seine öffentlich ausgelebte Homosexualität. Aber auch sein filmisches Genie. Wie dieser "fieberhaft tickende kleine Verstand" (John Waters) dem Mammut seiner Begabung zu Hilfe kam und was die Angst ausmacht - dafür hat Stephen King einmal ein einziges Wort gefunden: "Allein". Telegramm an Hitler Seine Eltern starben sehr früh an schweren Krankheiten, alles sah nach mehr oder weniger frühlingshaftem, blühendem Untergang aus. Zu Hilfe kamen ihm aber immer deutlicher sein Witz und seine Kindlichkeit. Das Telegramm an Hitler und Goebbels - "Sie arbeiten nun für mich?" - macht ihm keiner nach. Zwischendurch kaufte er sich auf einer Promotion-Tour durch Frankreich ein Schloss, von dem niemand mehr weiß, wem es heute gehört. Der undurchdringliche Frühling wächst darüber. Und zum Glück auch die Möglichkeit, dem Kino die Schwärze zu lassen, von der es lebt. Das "Journal des Verschwindens" wird nächsten Freitag fortgeführt. Bei S. Fischer wird es im Herbst in Buchform veröffentlicht werden - unter dem Titel "Film und Verhängnis. Blitzlichter auf ein Leben". DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 6.4.2001