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Das Aussterben der Arpaden veranlasste die ungarischen Großen, sich nach einem neuen Herrscher umzusehen. Da Ungarns Könige eine rege Heiratspolitik mit den höchsten Fürstenhäusern Europas betrieben hatten, gab es allenthalben Nachkommen der Arpaden-Königstöchter. Von drei Schwiegersöhnen, die Ansprüche stellten, stieg schließlich Karl I. Robert von Anjou, ein Sohn des Königs von Neapel, vor dem Böhmen und dem Bayern als Sieger aus dem Rennen. Unter den Anjous fand Ungarn nicht nur den Anschluss an die höfischen Sitten und die kulturelle Entwicklung Italiens und Frankreichs, sondern wurde auch zur regionalen Großmacht Ostmitteleuropas. Karl I. suchte enge Verbindung zu Polen und Böhmen. 1335 fand das Dreikönigstreffen von Visegrád statt; das Bündnis richtete sich vor allem gegen das Stapelrecht der Stadt Wien, das fremde Kaufleute verpflichtete, Transitgüter vor dem Weitertransport Wiener Bürgern zum Kauf anzubieten. Die Heirat Karls mit der Tochter des Polenkönigs Kasimir des Großen rückte die Vereinigung der beiden Länder in greifbare Nähe. Karls Sohn Ludwig/ Lajos I. (1342-1382) - der einzige ungarische König, der den Beinamen "der Große" erhielt - wurde 1370 auch König von Polen, herrschte damit über ein Reich, das von der Ostsee bis zur Adria reichte. Er sicherte Ungarn den Besitz von Kroatien und Dalmatien, die Fürsten der Walachei und der Moldau mussten seine Oberhoheit anerkennen. Das Ausmaß der heraufziehenden Bedrohung durch die Türken, die bereits Anatolien erobert hatten und nun gegen den Balkan vorrückten, erkannte Ludwig hingegen nicht. In seiner langen Regierungszeit sorgte er vor allem für die Städte, die eigene Gerichtsbarkeit und Handelsfreiheit erhielten. In Fünfkirchen/Pécs gründete er die erste ungarische Universität. Die Vereinigung Ungarns mit Polen war nicht von Dauer. Da Ludwig Söhne versagt geblieben waren, erlaubte die leidige Frage des Erbrechts erneut die Einmischung des Hochadels in die Nachfolge. Ludwig hatte seine ältere Tochter Maria zur Königin des Doppelreichs bestimmt. Die Polen aber wählten die jüngere Tochter Hedwig/ Jadwiga zur Königin. In Ungarn führte die Bosnierin Elisabeth die Regentschaft für ihre Tochter Maria; diese war schon in der Wiege mit Sigismund von Luxemburg verlobt worden, der Bräutigam wuchs zeitweise am ungarischen Hof auf. Die machthungrige Regentin schickte den jungen Sigismund mit einem Heer nach Polen, um die Union aufrechtzuerhalten. Die darob erbitterten Polen aber verheirateten Jadwiga mit Litauens Jagiello - die beiden Länder gingen fortan getrennte Wege. In Ungarn hatten sich zwei Parteien gebildet. Die Anjou-Partei des Bischofs Horvati wollte einen entfernten Verwandten Ludwigs aus Neapel auf Ungarns Thron sehen, die andere Partei - die Königinmutter und ihr Palatin Nikolaus Gara - setzten auf Sigismund. Zunächst war Karl schneller, zog nach Stuhlweißenburg/Szekesvéhérvár und ließ sich dort krönen. In Ofen/Buda bereitete er die Abdankung Marias vor, erlaubte ihr und ihrer Mutter jedoch, auf der Burg zu wohnen. Als er die Bosnierin in einem vertraulichen Gespräch für seinen Plan gewinnen wollte, wurde er von Gara überfallen, schwer verletzt und im Gefängnis umgebracht. Aber noch war der Weg für Sigismund nicht frei. Zwar setzte er jetzt die Heirat mit Maria durch, verließ das Land danach aber, um mit seinem misstrauischen Bruder Wenzel, deutscher und böhmischer König, ins Reine zu kommen. In Ungarn herrschten die Königinmutter und ihr Günstling Gara. Als Gara und die beiden Königinnen nach Slawonien reisten, wurden sie vom alten Gegenspieler Horvati gefangen genommen. Gara wurde geköpft, die Witwe Ludwigs des Großen erdrosselt. Auf Druck Venedigs, das die Anjous nicht auf beiden Seiten der Adria haben wollte, durfte Maria endlich zu ihrem Gatten. 1387 wurde Sigismund die Stephanskrone aufs Haupt gesetzt; er sollte sie fünfzig Jahre lang tragen (1410 wurde er auch deutscher König, 1431 Kaiser). Seine schwangere Frau starb schon 1395 beim Sturz von ihrem Pferd. Der Luxemburger trat ein schweres Erbe an. Polen war verloren, die Anjou-Partei hatte noch nicht aufgegeben, die Randgebiete strebten nach einer Lösung von Ungarn. Offenbar war den Zerstrittenen wenig bewusst, welche Gefahr sich im Südosten zusammenballte. 1389 siegten die Osmanen in der berühmten Schlacht auf dem Amselfeld/Kosovo über die Serben - das Trauma der serbischen Geschichte - 1393 machten sie sich Bulgarien untertänig. Das einst mächtige byzantinische Reich war nun faktisch auf Konstantinopel beschränkt. Dennoch unterschätzte Sigismund die Osmanen. 1396 zog er an der Spitze eines Heeres, zu dem zu den ungarischen Truppen Kontingente von "Kreuzfahrern" aus Frankreich, Burgund, dem Reich, Polen und der Walachei stießen, gegen die Türken, die eben Konstantinopel belagerten. Ein abgefangener Brief des byzantinischen Herrschers an Sigismund informierte Sultan Beyazid über die Pläne des Königs, er wandte sich sofort den neuen Gegnern zu. Bei Nikopolis (am rechten Donauufer in Bulgarien) kam es zur Schlacht. Der Hochmut französischer Ritter, die voreilig zum Angriff vorstießen, die militärische Unerfahrenheit Sigismunds und das Eingreifen des zum türkischen Bundesgenossen gewandelten Serbenfürsten Stepan Lazarevic führten zu einem Debakel für Sigismund. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich auf ein venezianisches Schiff im Schwarzen Meer zu retten. Nikopolis bedeutete das Ende der Kreuzfahreridee. Sigismund durfte von Glück reden, dass der Sultan seinen Sieg nicht zu einem Vorstoß nach Ungarn nützen konnte, weil die Mongolen in Anatolien eingefallen waren. Als Träger mehrerer Herrscherkronen wertete Sigismund das Ansehen Ungarns auf, erneut förderte der Zustrom süddeutscher Bankiers und Kaufleute die wirtschaftliche Entwicklung. Der unstete und sprunghafte Herrscher, dessen Bindungen an mehrere Kronen ihn Ungarn oft vernachlässigen ließ - so seine Eingriffe in das Schisma, mit zwei Päpsten, in Rom und in Avignon, und seine wortbrüchige Duldung der Verbrennung von Johann Hus, mit den Hussitenkriegen im Gefolge - hielt doch an einem Konzept fest, das als Vorstufe zu der Bildung eines Großreichs im Donauraum und damit der Verbindung zwischen Österreich und Ungarn anzusehen ist. Zum Unterschied von seinen luxemburgischen Vorgängern sah er in einem Bündnis mit den Habsburgern (statt der Rivalität zu ihnen) die Chance für eine dauernde Verbindung Ungarns mit dem Reich. Nach Streitigkeiten mit seinen luxemburgischen Verwandten schloss er mit Erzherzog Albrecht IV. einen Erbvertrag ab, der die Nachfolge der albertinischen Linie in Böhmen und Ungarn festlegte. Daran änderte auch seine zweite Verehelichung mit Barbara von Cilli nichts, weil auch ihr ein Sohn versagt blieb; die Tochter aber wurde mit dem Habsburger Albrecht V. vermählt. Dies war die erste historische Weichenstellung in Richtung einer Vereinigung der Donau-, Karpaten- und Sudetenländer. Nutznießer dieser Vereinbarungen wurde nach Sigismunds Tod (1437) - der Kaiser und König bestimmte den Dom von Großwardein (heute Oradea, Rumänien) zu seiner letzten Ruhestätte - Albrecht V., der unter seinem Szepter erstmals Österreich, Ungarn und Böhmen vereinigte. Leider war ihm, der auch noch zum deutschen König (als Albrecht II.) gewählt wurde, nur sehr kurze Zeit für die Ausübung seiner Herrschaft beschieden; seine außergewöhnlich Machtstellung hätte ihm als potentestem Reichsfürsten große Möglichkeiten für eine Reformpolitik sowohl in Ungarn als auch im Reich eröffnet. Doch er starb bereits 1439 und wurde in der Basilika von Stuhlweißenburg beigesetzt. Sein Sohn Ladislaus wurde erst nach dem Tod des Vaters geboren, daher sein Beiname "Postumus". Noch als Baby wurde er zum König von Ungarn gekrönt, doch wuchs er in der Obhut seines Vormundes Kaiser Friedrichs III. auf, der ihn als Faustpfand betrachtete. In einer vereinten Aktion zwangen die Stände von Nieder- und Oberösterreich, Ungarn und Böhmen den Kaiser zur Herausgabe des 15-jährigen Ladislaus, und dieser legte in Ungarn eine bemerkenswerte Energie, auch gegen die Familie des Statthalters Johann Hunyady, an den Tag. Doch völlig unvermutet starb er 17-jährig in Prag, möglicherweise vergiftet. Aus eben der Familie Hunyady kam der nächste König, Matthias Corvinus, der nun seinerseits - wieder nur vorübergehend - die Idee des Donaureichs verwirklichen sollte. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe, 31. 3. / 1. 4. 2001)