Wolfgang Libal

Das Ereignis hat nicht die Medienaufmerksamkeit gefunden, die es verdient hätte: Bernard Kouchner, Chef der Verwaltung der Vereinten Nationen für den Kosovo (UNMIX), hat für die Provinz die D-Mark als zweite Währung eingeführt, was de facto bedeutet, dass sie künftig das einzige Zahlungsmittel sein wird.

Zudem ließ er an der Grenze des Kosovo zu Mazedonien eigene Zollwachen aufstellen und verfügte, dass deren Einnahmen in einen Fonds zum Wiederaufbau der Provinz fließen.

Damit hat er nicht weniger getan, als den Kosovo aus der Finanzhoheit der Bundesrepublik Jugoslawien herauszunehmen, und sich damit auch in Widerspruch zur Resolution des UN-Sicherheitsrates gesetzt: In dieser war ja vorgesehen, dass die jugoslawischen Zöllner wieder an die Außengrenzen der Provinz zurückkehren sollten, und zwar in der zweiten Hälfte dieses Monats.

In Anbetracht der aktuellen Lage wäre das aber kaum durchführbar gewesen und im übrigen: Hätte Kouchner zuwarten sollen, bis er von Belgrad irgendwann irgendwelche Gelder für die UN-Verwaltung und den Wiederaufbau der Provinz erhält?

Das wäre wohl mehr als naiv gewesen, also hat er sich dem Zwang des Faktischen gebeugt und sich damit gleichzeitig eine autonome Einnahmequelle gesichert. Allerdings ist damit auch ein nicht unbedenklicher Schritt gesetzt worden, denn es gibt noch eine Reihe von offenen Problemen, bei denen ein Akzep- tieren des Faktischen ernstere Konsequenzen nach sich ziehen könnte:

Am 19. September soll die albanische Befreiungsarmee endgültig ihre Waffen abgeben. Der Chef der informellen UCK-Regierung Tha¸ci hat jedoch bereits seine höchst eigenwillige Interpretation dieser Verpflichtung verkündet: Demnach werde ein Teil der UCK künftig den Kern einer bewaffneten Streitmacht im Kosovo bilden, ein zweiter sich in die künftige Polizei integrieren und ein dritter eine politische Partei gründen.

Zweiter "Fall Mostar"?

Die UN-Sicherheitsresolution spricht demgegenüber explizit von einer "Demilitarisierung" des Kosovo, zielt also eindeutig auf die Auflösung und Entwaffung der UCK, und weder KFOR noch UNIMIX werden sich wohl in diesem Punkt dem Faktischen beugen können.

Ein ähnliches Konfliktpotenzial birgt die Teilung der Stadt Mitrovica (in einen albanischen Teil am Südufer der Ibar und einen serbischen am Nordufer): Wird man seitens der internationalen Instanzen in Kauf nehmen, dass sich hier ein zweiter "Fall Mostar" entwickelt? Auch vier Jahre nach Dayton ist die Stadt an der Nerretvas bekanntlich immer noch gespalten, in Mitrovica hätte so eine Perspektive allerdings viel schwerwiegendere ökonomische Folgen: Die von der Spaltung bedrohten Trepca-Bergwerke zählen zu den wenigen potenten Unternehmen in der Provinz.

Schließlich ist auch nach wie vor offen, wie die im Kosovo verbliebenen Serben vor Racheakten der Albaner geschützt werden sollen. Die KFOR ist dazu offenbar nicht in der Lage, die erst im Aufbau befindliche internationale Polizei ebenso wenig.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich bei den Albanern die Vernunft durchsetzt und ihr Rachedurst sich abkühlt. Dazu sind sie auch bereits aus den eigenen Reihen aufgerufen worden: Der renommierte Publizist Veton Surroi etwa wirft den albanischen Intellektuellen vor, dass sie durch ihr beharrliches Schweigen zu den Gewalttaten gegen die Serben im Begriff seien, ihre Unschuld zu verlieren, dass die Gewalt gegenüber den Serben eines Tages sich gegen die eigenen Leute richten und damit zum Faschismus führen könnte.

Für die Kosovo-Albaner stellt sich somit die entscheidende Frage, nach ihrer politischen Selbsteinschätzung: Betrachten sie sich als "befreit" und damit im Einklang mit den politischen und moralischen Zielsetzungen ihrer Befreier, oder halten sie diese für "Besatzer", gegen die Widerstand geleistet werden müsse?
Wolfgang Libal war langjähriger Südosteuropa-Korrespondent der Deutschen Presseagentur (dpa) und lebt als Publizist in Wien.