Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/ANSA/Claudio Onorati
Nichts könnte Giulio Andreottis politische Laufbahn anschaulicher verdeutlichen als die Fotosammlung in seinem Empfangszimmer. Fein säuberlich aufgereiht, in silbernen Rahmen, mit handgeschriebener Widmung präsentiert sich die Galerie der Mächtigen, mit denen er zu tun hatte: leicht verblasst die US-Präsidenten Eisenhower, Nixon, Ford, Carter, Reagan, die deutschen Bundeskanzler von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl, Kaiser Haile Selassie von Äthiopien, König Fahd und die Queen. Die wichtigsten stehen in der untersten Reihe: die Päpste Pius XII., Paul VI., Johannes XXIII. und Johannes Paul II. und Andreottis politischer Ziehvater Alcide De Gasperi, christdemokratischer Parteichef und erster Ministerpräsident Italiens nach dem Krieg. Dessen Widmung stammt aus dem Jahre 1952. Da war der strebsame Katholik Andreotti bereits mehrere Jahre Staatssekretär. Ein halbes Jahrhundert später tourt der Unverwüstliche wieder im Wahlkampf durch Italien. Er hat alles unbeschadet überlebt: die politischen Niederlagen, die unzähligen Grabenkämpfe in seiner Partei, die Ermordung seines DC-Kollegen Aldo Moro, den endlosen Mafiaprozess in Palermo. Das Gerücht, Silvio Berlusconi wünsche ihn als Außenminister, quittiert er mit einem Schmunzeln. "Ich nehme keine politischen Ämter mehr an", versichert er im Standard-Gespräch. "Aber wenn ich meinen Parteifreunden behilflich sein kann, tu’ ich das gerne." Dabei weiß der Senator auf Lebenszeit natürlich, dass die neu gegründete Partei Democrazia europea mit seinem Namen steht und fällt. Was ihm Unbehagen bereitet, ist die zunehmende Spaltung der politischen Landschaft in zwei große Blöcke. Ihr will er mit einer Partei der Mitte entgegenwirken. Aber sein eigentlicher Traum ist eine Neugründung der Democrazia Cristiana. Ein utopisches Ziel angesichts der Tatsache, dass am 13. Mai gleich fünf christdemokratische Parteien ins Rennen gehen. "Wir brauchen einen Achtungserfolg", sagt Andreotti auf dem Weg zum Teatro Brancaccio, wo laut Plakat eine "Begeg 4. Spalte nung mit Jugendlichen" stattfinden soll. Giulio-Sprechchöre Die Stimmung im Theater erinnert an ein Stadion. Über 1000 Jugendliche begrüßen den 82-Jährigen mit Sprechchören. Jedesmal, wenn Andreotti das Wort ergreift, werden Hunderte Fahnen geschwungen, Konfetti regnen ins Parkett, Luftballons steigen an die Decke. Dem von der Politik enttäuschten Studenten Lorenzo, der Stimmenthaltung ankündigt, macht Andreotti einen Vorschlag: "Leih uns vorerst deine Stimme. Und entscheide dann, ob unser Handeln deinen Erwartungen entspricht." "Giulio, Giulio...", tönen die Sprechchöre. Andreottis sprichwörtliche Ironie reißt das jugendliche Publikum immer wieder zu Beifallsstürmen hin. Die 21-jährige Studentin Cinzia, die auf der Tribüne begeistert die Parteifahne schwingt, bringt es auf den Punkt: "Keiner ist jünger als Giulio." Der Angesprochene pflegt sich nüchterner auszudrücken: "Totgesagte" - stellt er mit ironischem Schmunzeln fest - "haben schon immer etwas länger gelebt." (DerStandard,Print-Ausgabe,3.5.2001)