Robert Menasse ist einer der wenigen österreichischen Intellektuellen, die sich regelmäßig zu Wort melden. Das ist gut so, lebt doch die Demokratie vom öffentlichen Diskurs, vom Austragen von Debatten - kurz: einer Streit- und Diskussionskultur, die hierzulande durchaus lebendiger sein könnte.

Dies anzuerkennen heißt freilich noch lange nicht, mit Menasse einverstanden zu sein. Persönlich stören mich besonders seine oft allzu pauschalen Urteile, sein oft geringes Differenzierungsvermögen. Ich erinnere mich an einen längeren Text vor einem Jahr (STANDARD, 12. September 1998), in dem Menasse den österreichischen Politikern und Wirtschaftstreibenden allesamt Dummheit und Unfähigkeit unterstellt hat. Man stelle sich nur einmal im Vergleich vor, ein Politiker oder Unternehmer würde den heimischen Autoren generell vorwerfen, keine Romane schreiben zu können. Das eine ist so grotesk wie das andere.

Im jüngsten STANDARD-Interview (13. September 1999), beschränkt sich Menasse in seinem Rundumschlag auf die Bundesregierung und behauptet, in ihr herrsche Konsens darüber, dass es keinen Gestaltungsspielraum für nationale Politik gäbe, und deshalb wolle sie nichts tun. Es ist wenig verwunderlich, dass Menasse keinen einzigen Beleg für diese These bringen kann. Gerade Bundeskanzler Klima ist vollkommen überzeugt von den Gestaltungsmöglichkeiten, die sich der Politik erschließen - sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Und er nützt sie auch, insbesondere in der Beschäftigungspolitik.

Menasse sollte sich an seine eigenen Kriterien halten: Politiker sollen nach dem beurteilt werden, was sie machen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit etwa ist ja nicht aufgrund besonderer Untätigkeit erreicht worden, sondern Resultat eines Bündels von gezielten und erfolgreichen Maßnahmen und Initiativen, die die Regierung Klima gesetzt hat. Ähnliches gilt für viele andere Politikbereiche.

Klima sei genauso populistische wie Haider, lautet eine weitere Unterstellung. Hier übersieht Menasse den Unterschied zwischen Populismus und Politik mit Gestaltungswillen, die sowohl an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist als auch klare Grundwerte und Anstand als Richtschnur hat. Das unterscheidet Sozialdemokraten von der FPÖ. Es ist eben nicht das Gleiche, ob man für verantwortbare Zuwanderung eintritt, oder ob man die Ausländerfrage in verhetzerischer Weise aufheizt. Es ist eben nicht das Gleiche, ob man für die Bekämpfung von Drogenkriminalität sorgt, oder ob man Verunsicherung und Angst schürt.

Von Haider fasziniert

Dem "Populismus" setzt Menasse ein höchst naives, um nicht zu sagen bedenkliches Politikverständnis entgegen. Er wünscht sich schneidige Politik, die abgehoben von öffentlicher Meinung und den Bedürfnissen der Bevölkerung das "objektiv Richtige" irgendwie einfach macht. Darüber hinaus ist ihm die österreichische Politik schlicht zu langweilig. Seinem feinen ästhetischen Sinn genügt nachweislich erfolgreiches Regieren nicht, er hätte gerne mehr "Bewegung".

Menasse verkennt und entwertet solcherart nicht nur den demokratischen Prozess, der leise autoritäre Zug seines Politikmodells verbindet sich ausgerechnet mit jener Ästhetisierung der Politik, die er gleichzeitig zu kritisieren vorgibt: Es ist folgerichtig die Selbstdarstellung eines Jörg Haider, die ihn fasziniert, weil er "wirklich etwas machen" will. "Es wäre immerhin ein Wechsel", meint er. Worin dieser Wechsel bestehen würde, ist dem gegenüber zweitrangig.

Die tief gehenden Unterschiede zwischen den Parteien, ihrem Demokratieverständnis und ihren Programmen interessieren ihn nicht. Soziale Ungerechtigkeit, Verhetzung und Diskriminierung betreffen und belasten ihn vergleichsweise wenig. So unfair es wäre, Menasse besondere Sympathien für eine blau-schwarze-Regierungskoalition zu unterschieben, er trägt mit seinem eitlen Gejammere, dass "die Politik" seine Ansprüche nicht erfüllt, ein gutes Stück zur Entpolitisierung bei.

Es ist das kokette Spiel eines politisch Gelangweilten, der Spannung in der Politik vermisst. Politik hat aber nicht die Aufgabe, irgend jemanden - auch Robert Menasse nicht - zu unterhalten, sondern sie hat dafür zu sorgen, dass es den Menschen etwas besser geht: In seiner Laudatio zur Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Kulturpublizistik an Robert Menasse hat Konrad Paul Liessmann gesagt: "Für den Essayisten Menasse, der den Dichter in sich nicht verleugnen kann, heißt dies übrigens auch, hin und wieder selbst der Versuchung zu unterliegen, Wirklichkeit und Fiktion zu vertauschen." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Andreas Rudas