"Warum stehen hier zwei Parteizeichen nebeneinander: Ulivo und SVP?" "Wo muß ich da ankreuzen?" Verwirrte Gesichter versuchen noch knapp vor dem Wählen sich Klarheit zu verschaffen. Die Warteschlange vor den Wahlkabinen wird immer länger. "Männer können links vorbeigehen!" ruft ein Wahlhelfer. Ein Murren wird bei den Frauen laut: "Wie bei den Toiletten, Frauen müssen immer länger warten," zischt es aus der Menge. Ich schaue mich um und sehe tatsächlich fast ausschließlich Frauen. "Dann sind wir es, die entscheiden", meint eine jüngere Frau zufrieden. "Das glaubst du wohl selber nicht!" ist die ungläubige Reaktion einer anderen. Trotz des schönen Wetters am Wahlsonntag und Muttertag nehmen die meisten ihre Wahlpflicht sehr ernst. Bis 19 Uhr beläuft sich die Wahlbeteiligung auf rund 59,8 Prozent, das sind fast zehn Prozent mehr als bei den letzten Wahlen. Insgesamt sind fast 50 Millionen italienische StaatsbürgerInnen aufgerufen zu wählen. Es sind tatsächlich mehr Frauen wahlberechtigt als Männer: Rund 25.653.060 Frauen stehen 23.803.994 Männern gegenüber. Davon abzuleiten, dass Frauen im italienischen Parlament stärker vertreten wären, ist aber ein Trugschluß. Vielmehr ist Italien das europäische Land mit den wenigsten Frauen im Parlament. "Ich wähle einfach das, was ich kenne" "Vorher informiert habe ich mich nicht", gibt ein Mann mittleren Alters unumwunden zu. "Ich wähle einfach das, was ich kenne." Mit einem Zwinkern fährt er fort: "Es war leicht zu finden: meistens das oberste Zeichen auf den Stimmzetteln." Dort ist das Edelweiß, das Zeichen der Südtiroler Volkspartei zu finden. "Es nützt eh nichts", gibt sich ein jüngerer Wähler pessimistisch. "Wer weiß, vielleicht müssen wir in einem Jahr wieder wählen. In Italien hält ja nichts länger. Andauernd gibt es Veränderungen, da kommt man ja nicht mehr mit." Insbesondere ältere Menschen haben mit den Veränderungen und Wahlen ihre Schwierigkeiten. "Man sollte die Senioren besser vorbereiten, sodass sie wirklich selbst entscheiden können und nicht einfach irgendetwas ankreuzen", plädiert eine jüngere Frau, an deren Arm sich eine ältere Frau stützt. Weitsichtiger neuer Wahlausweis Das komplexe gemischte Wahlsystem macht das Wählen um nichts leichter. Alt-Landeshauptmann Silvius Magnago protestiert mit seiner Kandidatur gegen die vier Prozent Klausel beim Verhältniswahlrecht. "Die meisten Leute wissen das nicht und wählen ihn halt, weil sie ihn kennen", ist eine junge Südtirolerin überzeugt. Während des Wartens lese ich mir die Strafen durch, die einen erwarten, verhält man sich nicht rechtgemäß. Wenn man beispielsweise den Wahl-Bleistift einsteckt, droht eine Geldstrafe von 200.000 bis 600.000 Lire (etwa 1.500 bis 4.000 Schilling). Wenn man in einem anderen als den zugeteilten Wahlsprengel wählt, erwarten einen drei bis fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe von bis zu 2.500.000 Lire (etwa 18.000 Schilling). Nach dem Wählen bekomme ich einen Stempel in meinen neuen Wahlausweis. Dieser gilt nun für die nächsten 18 Wahlgänge. Dabei ist Italien schon sehr weitsichtig, denke ich während ich an der noch länger gewordenen Warteschlange vorbeigehe.