Wien - Finanzminister Karl-Heinz Grasser will nun die Wiener Börse "aus der Dunkelkammer herausführen". Dafür will er einen "Kapitalmarkt-Champion" suchen und in den nächsten Wochen mit der Koordination der wichtigsten Schnittstellen für einen funktionierenden Kapitalmarkt beauftragen. Ein wichtiger Schlüssel dazu sei eine "Partnerschaft der kleinen Kapitalmärkte", nämlich der Börse Wien mit den Börsen in den ost- und mitteleuropäischen Ländern. "Wir wollen alles tun, um eine lebendige Börse schaffen zu können", sagte der Minister bei einer Pressekonferenz, zu der die Schnittstellen des heimischen Kapitalmarktes luden: das Ministerium für Finanzen, die Oesterreichische Nationalbank (OeNB), die Wiener Börse (WBAG). "Fünf vor zwölf" Gemeinsam mit The Boston Consulting Group (BCG) untersuchte die Börse in den vergangenen acht Wochen den heimischen Kapitalmarkt. Antonella Mei-Pochtler, Geschäftsführerin der BCG, schloss aus der Studie: "Es ist fünf vor zwölf." Österreichs Wirtschaftsstruktur sei zu sehr abhängig von Fremdkapital, nun werde die Finanzierung über den Kapitalmarkt für die Unternehmen immer wichtiger. Dazu führten die neuen Technologien, die über Fremdkapital allein nicht mehr finanzierbar seien. Zudem kaufen und verkaufen Firmen immer häufiger über Aktientausch, eine Börsennotierung ist dafür grundlegend. Derzeit sei die Börsenkapitalisierung in Österreich mit einem Anteil von 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im internationalen Vergleich mit den wichtigsten industrialisierten Ländern an letzter Stelle, der Kapitalmarkt also in "einer prekären Lage". "Wir sind alle im selben Boot" Was Börsenvorstand Erich Obersteiner mit einer Metapher umschrieb: "Wir sind alle im selben Boot. Gemeinsam müssen wir den Kapitalmarkt ankurbeln." Die WBAG will ihren Internet-Auftritt bis Herbst neu ausrichten - und damit auch Kleinanlegern eine Investition am heimischen Markt schmackhafter machen. Da liege ein großes Potenzial. Von derzeit 275 Milliarden Euro (3784 Mrd. S) veranlagtem Vermögen in Österreich stagnieren die Spareinlagen laut OeNB bei 150 Mrd. Euro. Das zeigt auch die BCG-Studie, wie auch einige altbekannte Probleme der österreichischen Wirtschaft. Mei-Pochtler sagte: "Die Unternehmen müssen besser performen. Im internationalen Vergleich sind sie zu schwach." Die Gründe: Die heimischen Firmen sind kleiner und noch nicht angepasst an die Globalisierung. Neue Listings sollen den Kapitalmarkt zusätzlich beleben, so die Expertin. Daneben die Privatisierungen staatlicher Unternehmen. Aufholbedarf ortet sie auch im Bereich der Pensionsvorsorge. (este, DER STANDARD, Printausgabe 16.5.2001)