Tadeusz Mazowiecki

Vor zehn Jahren wurde ich damit betraut, die erste nicht-kommunistische Regierung Polens zu bilden, in einer nach wie vor kommunistischen Welt. Die Sowjetunion existierte ebenso wie der Warschauer Pakt, die Rote Armee hatte militärische Stützpunkte in Polen, und Solidarnosc war erst vor kurzem aus dem Untergrund zurückgekehrt, viele ihrer Führer hatten gerade das Gefängnis verlassen.

Die Verankerung der Gewerkschaftsbewegung im Bewusstsein der Öffentlichkeit war für alles, was nun kommen sollte, von entscheidender Bedeutung.

Nach Ausrufung des Kriegsrechts 1981 hatte die Regierung unter Jaruzelski betont, sie sei bereit mit der Gesellschaft ein Übereinkommen zu treffen. "Nur" mit Solidarnosc hätte man Schwierigkeiten.

Nur ein "Trick"?

Für mich jedoch stand die Legalisierung von Solidarnosc im Vordergrund. Ich war überzeugt, dass die Freiheit, die uns die Regierung zugestehen wollte, nur einen realen Wert hat, wenn sie durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens und nicht durch kleine Splittergruppen geschützt war.

Als von den Führungsgremien erste Signale kamen, dass sie es mit der Legalisierung von Solidarnosc ernst meinten, schien es mir sinnvoll, Gespräche auf politischer Ebene einzuleiten, die schließlich als "Runder Tisch" berühmt werden sollten. Dennoch fürchtete ich fast bis zum Schluss, alles sei nur ein "Trick", und brannte nicht gerade darauf, in die neuen politischen Strukturen eingebunden zu werden. Erst als klar war, dass Solidarnosc Regierungsfunktionen übernehmen sollte, habe ich diese historische Rolle akzeptiert.

Meine Aufgabe, die erste Solidarnosc-Regierung zu bilden, wurde oft mit der Arbeit eines Soldaten verglichen, der ein Minenfeld zu entsorgen hat.

Ich habe aber nicht nur Sprengkörper entfernt, sondern vielmehr versucht, den Grundstein für etwas Neues zu legen. Wir wollten die politische Landschaft nicht nur verschönern sondern von Grund auf erneuern. Halbherzigkeit war da fehl am Platz.

In meiner Antrittsrede erwähnte ich deshalb auch den "dicken Schlußstrich", den wir unter die Vergangenheit ziehen würden, und dass "wir nicht für das Erbe" verantwortlich seien, das wir übernehmen, sondern für das "was wir von nun an tun".

Leider wurden meine Worte später von meinen Kritikern auf bizarre Weise verzerrt, obwohl die Botschaft einfach genug war: Wir wollten eine radikale Erneuerung mit friedlichen Mitteln. Veränderung ohne Rache, was nicht heißen sollte, die Vergangenheit nicht einzubeziehen, aber eben ohne Vergeltung.

Damals gab es über zwei Millionen Mitglieder in der Kommunistischen Partei Polens, und die musste ich vor die Entscheidung stellen: Wollen sie sich mit dem demokratischen Polen identifizieren oder von nun an Bürger zweiter Klasse sein?

Im übrigen musste natürlich auch der gesamte Verwaltungsapparat des Staates, der schließlich nicht von einer Woche auf die andere erneuert werden konnte, dem neuen Polen zur Verfügung stehen: angefangen von den kommunistisch kontrollierten Sicherheitskräften über die Armee bis zu sämtlichen staatlichen Institutionen. Sie alle konnten auf Konfrontatinskurs gehen, nicht nur gegen mich, sondern auch gegen ihre Vertreter, die das Abkommen am Runden Tisch unterzeichnet hatten.

Unabhängige Justiz

Nach vielen Jahren der Konflikte, die Zeit des "Militärrates zur Rettung Polens", der 1981 eingesetzt wurde, noch in lebhafter Erinnerung, war für die Menschen in diesem Land die Politik der nationalen Aussöhnung von großer Wichtigkeit. Die "Entkommunistisierung" richtete sich daher vor allem gegen das politische System.

Es war Sache der Gerichte, über individuelle Schuldfragen zu entscheiden. Eine Regierung, die sich für eine unabhängige Justiz einsetzt, hatte hier nichts mitzureden. Die moralische Aufarbeitung der Vergangenheit war in meinen Augen Sache der breiten Öffentlichkeit und konnte nicht durch Dekrete und andere Entscheidungen der Administration gelöst werden.

Vor allem politische und wirtschaftliche Reformen waren die Verantwortung der Regierenden, weitreichende Reformen, die ohne sozialen Frieden nicht möglich gewesen wären. Wir standen vor der Wahl: Eine Hexenjagd auf Kommunisten zu inszenieren, oder eine neue Zeit des Friedens und des Wohlstands einzuleiten. Wir haben uns für die Reformen entscheiden.

Tadeus Mazowiecki war von August 1989 bis Oktober 90 Premierminister von Polen.
© Project Syndicate, Prag 1999