Wien/Washington - Die Prognosen, dass die Kalter-Kriegs-Rhetorik zwischen der neuen US-Administration unter Präsident George W. Bush und der russischen Führung unter Kreml-Chef Wladimir Putin nur vorübergehend sei, scheinen sich schneller als erwartet zu bewahrheiten. Der für 16. Juni in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana (Laibach) angesetzte Gipfel zwischen Bush und Putin soll den Auftakt zu substanziellen Verhandlungen über das von den USA geplante und von Russland bisher abgelehnte Raketenabwehrsystem bilden. Bush kommt zu dem Treffen direkt vom Stockholmer EU-US-Gipfel, wo die auch bei den Europäern umstrittene Raketenabwehr ebenfalls Thema ist.

Wie der russische Außenminister Igor Iwanow am Wochenende nach Abschluss seiner Gespräche mit Präsident Bush, Außenminister Colin Powell (drei Begegnungen) und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sagte, sei Moskau bereit, mit den USA zu einer neuen Übereinkunft über Rüstungskontrolle und Raketenabwehr zu kommen.

Hauptstreitpunkt ist bisher der ABM-(Anti Ballistic Missile)-Vertrag von 1972, der auf dem Prinzip der gegenseitigen Abschreckung beruht und beiden Seiten eine wirksame Raketenabwehr verbietet.

Das Argument Washingtons, dass der Vertrag ein Relikt des Kalten Krieges sei und es heute andere Bedrohungsbilder gebe, wird von Moskau inzwischen anerkannt. Iwanow, der Bush ein persönliches Schreiben Putins überbrachte, sagte in Washington, die Welt von heute sei eine andere als beim Abschluss des ABM-Vertrags.

Russlands mögliches Einlenken dürfte von mehreren Faktoren bestimmt sein: der Entschlossenheit der Bush-Administration, eine Raketenabwehr auch ohne Übereinkunft mit Moskau aufzubauen (dies hat Powell auch jetzt wieder betont); der Hoffnung auf Technologietransfer und westliche Investitionen im Falle einer Übereinkunft; und vor allem von der Einsicht, dass nur westliches Kapital und Know-how Russland in die Lage versetzen kann, seine Großmachtrolle zu behaupten - und dies besonders mit Blick auf den asiatischen Rivalen China. In diesem Punkt scheinen sich die Interessen Moskaus und jene Washingtons denn auch am stärksten anzunähern. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. Mai 2001)