Die Hisbollah wird ihn auf ihre Art begehen, den ersten Jahrestag des Abzugs der Israelis aus dem Libanon vom 25. Mai 2000, dessen ist man sich in Israel ziemlich sicher. Es gibt Hinweise darauf, dass die vom Iran und von Syrien unterstützte Schiitenmiliz über neue Katjuschas mit einer größeren Reichweite (80 km) verfügt, die sie zur Feier des Tages einsetzen könnte. Die israelische Armee ist in Alarmbereitschaft versetzt, und die Stimmung an der - außer bei den Shebaa-Farmen - während des vergangenen Jahres relativ ruhigen Grenze heizt sich langsam auf. Am Sonntag eröffneten zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder israelische Soldaten am Fatima-Gate, dem alten Crossingpoint der israelischen Armee, das Feuer auf Libanesen. Etwa 300 Leute hatten versucht, den Grenzzaun niederzureißen. Die Hisbollah schwört Rache für das "neue zionistische Verbrechen".Allgemeine Nervosität Aber nicht nur in Israel ist man nervös. Najib, ein Priester im von 5000 Christen bewohnten Dorf Rumaysh in der ehemaligen besetzten Zone, nimmt sich trotz der schwierigen Nachbarschaft - die Hisbollah-Position ist direkt vor dem Dorf - kein Blatt vor den Mund: "Die libanesische Regierung sollte dafür sorgen, dass die Hisbollah zu kämpfen aufhört." Das heißt im Klartext, sie soll endlich die libanesische Armee schicken. Denn auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich ist: Die Menschen sorgen sich, dass die Israelis zurückkommen, wenn die Hisbollah nicht bald eine Ruhe gibt. Und solange die Region nicht stabil ist, wird es auch keinen wirtschaftlichen Aufschwung geben. Libanon peu a peu besetzt Najibs Meinung wird in Beirut weitgehend geteilt, auch von Leuten, die das nicht in ein Journalistenmikrofon sagen würden: Die Hisbollah hält ein ganzes Land in Geiselhaft mit einem Kampf, für den sich in Wahrheit niemand interessiert. Die Möglichkeit dazu wurde ihr allerdings von Israel auf dem Tablett präsentiert: Israel ist vor einem Jahr nicht aus dem fruchtbaren und strategisch günstig gelegenen besetzten Gebiet um Shebaa abgezogen, mit dem Argument, dass es seinerzeit von Syrien und nicht vom Libanon erobert wurde. Das ist richtig, tatsächlich hat Israel das Land 1967 und 1973 peu à peu - und nicht im Rahmen der Libanon-Invasion - besetzt, es fällt also nicht unter die den Libanon betreffenden UNO-Resolutionen (die Hisbollah sieht das natürlich anders). Deshalb hat die UNO voriges Jahr Israel den kompletten Abzug bestätigt. Beirut hatte das beeinsprucht, aber gleichzeitig wissen lassen, man werde sich dem Entscheid fügen - doch heute, ein Jahr später, ist der "Widerstand" wieder in aller Offiziellen Munde. Es gibt auch Antworten Nolens volens, das heißt, angesprochen werden sie darauf nicht gerne. Denn die Frage, warum Syrien die in Damaskus liegenden Dokumente, die die Rechtmäßigkeit der Ansprüche Beiruts bestätigen würden - und danach könnte man weitersehen -, nicht ganz einfach bei der UNO in New York vorlegt, will man hier nicht beantworten. Die Antwort würde lauten: Syrien will nicht, weil ihm die Situation genau so passt, wie sie jetzt ist. Wenn es die Shebaa-Farmen nicht gäbe, hätte man sie erfinden müssen. Und so rückt keine libanesische Armee, wie zu Zeiten der israelischen Besetzung für den Tag danach oft versprochen, in die Zone ein. Wie sehr das dem Libanon schadet, wurde erst vorige Woche klar, als der US-Kongress aus diesem Grund die so dringend benötigte Libanon-Wirtschaftshilfe von 35 Mio. US-Dollar blockierte. Pech gehabt. Und im Süden müssen - dem Innenministerium, nicht dem Verteidigungsministerium unterstellte - "Sicherheitskräfte" reichen. Wie ernst die Hisbollah diese nimmt, ist aus einer von Pfarrer Najib erzählten Episode abzulesen. Als die Sicherheitskräfte einmal nach einem "Vorfall" vor Ort erschienen, wurden sie von der Hisbollah wieder weggeschickt: Ihr habt hier gar nichts zu sagen, wir haben dieses Land befreit. Von der Behörden ermutigt Unter "Vorfall" versteht man in der Zone fast immer das Gleiche: ehemalige Angehörige der Südlibanesischen Armee (SLA), die während der Besatzung mit Israel kooperiert hat (übrigens in der Mehrheit Muslime), in Schwierigkeiten. Jene, die nicht geflüchtet sind, wurden zu Haftstrafen verurteilt und verlassen langsam wieder die Gefängnisse. Von den Behörden werden sie ermutigt, in ihrer Heimat zu bleiben - nicht zur Freude der Hisbollah, die vor allem die Christen gerne loswerden würde. Mit den "Vorfällen" ist auch die UNO-Truppe Unifil mit ihrem Hauptquartier in Nakura überfordert, die zuletzt auch noch angekündigt hat, ihre 4500 Mann bis nächstes Jahr auf 2000 reduzieren zu wollen. Aber nicht nur die Schwächung ihrer Schutzmacht fürchten diejenigen Libanesen in der Zone, die mit der Hisbollah nichts am Hut haben: Die Unifil ist auch ein wichtiger Arbeitgeber. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 22. 5. 2001)