Architektur und Medien wurden mehrfach als kulturpolitischer Schwerpunkt des Bundeskanzlers in dieser Legislaturperoide genannt. Nicht sehr viel ist dazu geschehen, und vor allem ist die große Versprechung nicht eingelöst, doch endlich auch in Österreich ein mutiges architektonisches "Symbolbauwerk" in Auftrag zu geben. Ist ja auch nicht so leicht, eine Bilbao vergleichbare Situation im Lande zu finden.

Doch jetzt eröffnet sich eine neue Chance. Seit mehr als einem Jahrzehnt basteln die Grazer mit einem verhängnisvollen Todestrieb an ihrem Kunsthaus herum. Das architektonisch spannende Projekt des Trigon-Museums im Pfauengarten von Schöffauer und Tschapeller aus dem Jahre 1988 wurde 1995 beschämend zu Grabe getragen. Der nächste Wettbewerb, der schweigsame "Eisberg" vom Schweizer Architekten Jürg Weber verendete zwei Jahre später, nicht zuletzt auch an der Kritik aus den Reihen der Grazer Architekten.

Und jetzt nimmt Graz einen dritten Anlauf. Ein neuer Standort, das "Eiserne Haus", ist gefunden, es drängt ein neuer Termin - 2003: Graz ist Kulturhauptstadt Europas -, ein neuer Wettbewerb steht bevor: Alle Architekten können sich ab sofort per Fax bewerben, heißt es in der Architektenkammer und beim Stadtbauamt. Wofür, das erfahren sie erst im Oktober, dann soll die Ausschreibung fertig sein. Inzwischen mehren sich die Zurufe aus Politik und Medien, die "so etwas wie in Bilbao" fordern.

Nicht nur einmal fiel der Name Frank O. Gehry. Doch vor diesem und vielen anderen internationalen Superstars seien die Landesmarketingexperten eindringlich gewarnt. Die ganze Kultur- und Tourismuswelt würde milde lächeln, wenn auch die Steirer "ihren" Gehry bekämen. Wir sprechen doch nicht von einem "Symbolbauwerk" für inflationäre Markenverwertung. Und der neuerliche Wettbewerb? Zum dritten Mal ein unkontrollierbares, zufälliges Ergebnis? Nein, das ist nicht der politische und mediale Auftrag. "Sicher ist, dass sich Graz eine mittelmäßige Lösung nicht wird leisten können", mahnt Gerfried Sperl.

Das architektonische Anforderungsprofil liegt also schon vor dem Wettbewerb klar auf dem Tisch. Man muss es ebenso ernst nehmen wie das Raumprogramm, und dann gibt es nur eine begründbare und vernünftige Lösung: Das Kanzleramt nimmt seine Mittel für das "Symbolbauwerk" in die Hand, mischt sich in die zerstrittene Grazer Szene demiurgisch ein und erteilt in Absprache mit Stadt und Land Günther Domenig den Direktauftrag für das neue Kunsthaus.

Domenig ist einer der größten Baukünstler unseres Landes, ein Genie in der neuartigen Formung von Materie und Raum. Und er hat sich, trotz vieler großer Bauaufträge, in seinem künstlerischen Wollen in die privatistische Vollendung seines "Steinhauses" zurückgezogen. Er muss ganz persönlich, nicht sein Büro, aus seiner Eremitage herausgelockt werden, um sich einem wirklich öffentlichen Symbolbauwerk mit ganzer Kraft widmen zu können.

Auch wenn das österreichische Spiel jetzt einsetzen wird, dass ein konkreter Vorschlag diesen normalerweise sofort wieder von der Tischfläche fegt, ist dies die einzig sachlich begründete Lösung des jahrzehntelangen Grazer Kunsthaus-Problems.

Domenig kann, ausgestattet mit großem politischen Vertrauen, eine großartige und (ausdrücklich gewünschte) spektakuläre Lösung entwickeln. Diese wäre ein mutiges Manifest der Tradition der Grazer Schule, unverwechselbar und typisch, weltweit einzigartig. Die zerstrittenen Grazer Lokalpolitiker könnten sich bei dieser Direktbeauftragung auf den Bund ausreden und würden dennoch genau das bekommen, was sie sich nun unter Aufbietung aller Kräfte und unter der Tarnung eines dritten Wettbewerbs mit ungewissem Ergebnis erhoffen. Und der Bundeskanzler hätte - vielleicht sogar noch vor der Wahl! - sein von der kulturellen Fachwelt voll akzeptiertes und akklamiertes "Symbolbauwerk" doch noch in die Zielgerade gebracht und könnte es, so er wieder Bundeskanzler wird, im nächsten Wahlkampf 2003 als Leistungsbeweis eröffnen.

Es gibt für repräsentative öffentliche Bauten mit anspruchsvoller Architektur nur zwei gesellschaftspolitische Möglichkeiten. Entweder bekennen sich Politiker persönlich verantwortlich für eine große Leistung, oder der Architekt trägt als einzig "Überlebender" das Projekt beharrlich durch alle politische Verantwortungslosigkeit durch: siehe Wiener Museumsquartier. 2001 wird diese Variante als Symbolbauwerk der Republik eröffnet werden. Jetzt sollte man in Graz einmal auch die Erfolg versprechende Variante der politischen Verantwortung erproben.

Dietmar Steiner leitet das Architektur Zentrum Wien, das derzeit das Schicksal des Museumsquartiers und "andere spannende Geschichten" in einer Ausstellung dokumentiert.