In Rollenspielen, Interviews und psychologischen Tests werden Kandidaten auf Herz und Nieren
überprüft.
Das Autorenduo des Buches
"Assessment Center für Hochschulabsolventen - Bewältigungsstrategien für das härteste Personalausleseverfahren"
(Eichborn Verlag, 210 S/15,26 €)
schockiert mit einer Fülle von
Beispielen, die eher dazu angetan sind, Bewerber zu verschrecken. So wird berichtet
von einem Rollenspiel, bei
dem die Teilnehmer zu sechst
in einer Höhle eingeschlossen
sind. Das Wasser steigt unaufhaltsam und nur 30 Minuten
Zeit stehen zur Verfügung, um
zu entscheiden, wer gerettet
werden soll. Als sich die
Gruppe auf den Jüngsten eingependelt hat, dreht einer der
Teilnehmer durch und erzwingt sich seinen Weg zum
Rettungskorb mit Gewalt. Der
Personalpsychologe schickt
ihn nach Hause.
In einem anderen Beispiel
sitzt die Gruppe beim Mittagessen, drei Gerichte stehen
zur Auswahl. Wer sich für das
Steak oder den Hendlhaxen
entscheidet, wird später als
Mittelmaß eingestuft. Interessanter ist der Kandidat, der
das grätenintensive Fischgericht nimmt und es mit Bravour absolviert, denn ihm
wird die Lösung komplizierter
Sachverhalte zugetraut. Andererseits aber gilt seine Wahl
wiederum als individualistische Extratour, was weitere
Prüfungsverfahren unerlässlich macht. Wer
ins Assessment-Center (AC)
geht, um dort seine Fähigkeiten testen zu lassen, setzt sich
wohl der derzeit ungewöhnlichsten und härtesten Selektion im Personalausleseverfahren aus. Aber die Methoden sind im Kommen. Immer
mehr Firmen bedienen sich
dieses Instruments, um die
Bewerber nicht nur auf ihre
Verstandesfähigkeiten hin,
sondern auch auf Herz und
Nieren zu testen.Persönlichkeitstest
Im AC ist ein konventionelles Vorstellungsgespräch
unmöglich. Die Prüfung dauert mindestens einen, oft auch
drei Tage, und immer geht es
darum, noch das Letzte über
die Persönlichkeit, die Leistungsfähigkeit und die fachliche Kompetenz des Bewerbers
herauszufinden. Die psychologischen Tests, Intelligenz-
und Konzentrationsprüfungen, Rollenspiele und Interviews dienen zur Erstellung
eines Persönlichkeitsprofils.
Dabei wird herausgefunden,
wie viel der Bewerber zu tun
bereit ist, um in einen bestimmten Job zu gelangen, wie
belastbar er ist. Und wie flexibel für die Anforderungen von
morgen. Die Tests sind wissenschaftlich abgestützt, die
Übungsanordnungen realistisch und praxisnah - und immer gehen sie
aufs Ganze. Letztlich bleibt
nur ein Tabu gewahrt: das Privatleben des Bewerbers.
AC passt in unsere Zeit der
rasanten Veränderungen traditioneller Berufsbilder, in der
es noch nicht möglich ist, Kriterien für Berufserfolg eindeutig festzuschreiben. AC zielt
deshalb eher auf eine Persönlichkeitsprüfung, sie fördert
grundsätzliche Erkenntnisse
zutage. Darüber, wie jemand
mit Stresssituationen fertig
wird, welches Leistungspotenzial er besitzt, wie er sich
konzentrieren kann usw. Vor
allem Studenten, die nach Abschluss des Studiums viel
Fachwissen besitzen, aber
sich noch nicht weiter mit ihrer Persönlichkeitsentwicklung auseinander gesetzt haben, ist das Brachialverfahren
zu empfehlen. Es verschafft
einen Überblick über die eigene Person. Das ist nützlicher,
als in standardisierten Interviews nur nach Fachwissen
abgefragt zu werden. Zudem
bleibt die Neutralität gewahrt.
Jeder muss nach dem AC selber sehen, wie er mit den neuen Erfahrungen und Erkenntnissen weiterkommt. Genau
besehen ist AC ein psychologischer Crashkurs, und dass
sich immer mehr Firmen dafür entscheiden, zeigt, dass
mehr denn je stabile Persönlichkeiten als Mitarbeiter gewonnen werden sollen.
Den gelegentlich erhobenen
Vorwurf, im Assessment-Center hätten jene Kandidaten
den meisten Erfolg, die gut
schauspielern könnten, weisen die Veranstalter übereinstimmend zurück. Niemand
unter den Bewerbern wüsste,
was ihm bevorstehe, so käme
man nicht weit mit seinen
schauspielerischen Darbietungen. Auch Schummeln
lohne sich nicht, da alle Prüfungen objektive Ergebnisse
hätten. Eine Teilnahme setze
Ernsthaftigkeit voraus, und
das sei die beste Eigenschaft,
um mit Engagement das Testverfahren anzugehen. Im Übrigen solle man gut ausgeschlafen und konditioniert
sein, die Prüfungen würden in
einem ziemlichen Tempo
durchgeführt und bedingten
neben intellektueller Schlagfertigkeit auch ein gewisses
Maß an körperlicher Fitness.
Es sind Industriefirmen, die
AC einrichten, aber auch
Dienstleister, wie etwa die
Mineralölfirma Esso, und
Hightech-Unternehmen. Die
Testrealität im AC soll unter
Beweis stellen, dass gereifte Persönlichkeiten vielseitig
einsetzbar sind.
(DER STANDARD; Print-Ausgabe, 26.05.2001)
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