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Oliver Cromwell

Foto: Archiv
London - Einige Kollegen aus der akademischen Welt warfen Simon Schama sofort "Verdummung" vor. Der Economist rümpfte verächtlich die Nase über diese "Banalität". So manche Schotten, Iren und Waliser fühlten sich ihrerseits übergangen in einer für sie viel zu England-lastigen Betrachtung. Ungeachtet dieser Kritiker aber steht fest: Schamas "Geschichte Großbritanniens" erweist sich als absoluter Publikumshit. Mit ihren ersten sieben Folgen rückte die BBC2-Fernsehdokumentation unter die zehn beliebtesten Fernsehprogramme im Vorjahr auf. Die ersten zwei von vier weiteren Folgen, die im Mai anliefen, konnten knapp dreieinhalb Millionen respektive 15 Prozent aller Fernsehzuseher zwischen 21 und 22 Uhr für sich gewinnen. Kontroversen Eine Reihe von Medienkritikern wollen es nun immer schon gewusst haben: Nur die Medienmacher selbst seien viel zu unaufgeschlossen gegenüber seriösen Geschichtsdokus, die Menschen selbst schätzen solche Programme, noch dazu, wenn sie so klar, informativ und visuell ansprechend sind wie die Serie des einst in Oxford und Harvard und nun an der Columbia-Universität lehrenden Historikers und Kunsthistorikers Schama. Kontroversielle Ansichten sind dabei ebenso willkommen wie die Debatte, die sie auslösen. So bezeichnet Schama Oliver Cromwell wegen eines Massakers an 3000 unbewaffneten Soldaten in Irland im Jahre 1649 als Kriegsverbrecher. Den Erfolg der "Geschichte Großbritanniens" erklären manche Analysten aber nicht nur mit der Qualität der Sendung. Fast noch entscheidender ist für sie der gewandelte Publikumsgeschmack. "Reality" sei heute gefragt, ob in Form von "Big Brother", "Survivor" oder eben einer von jedem Anklang an Kostümschinken freien, lebendigen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. BBC2, das im Zuge der geplanten Reformen nach Aussagen seiner Chefin Jane Root zum seriösen Kanal für moderne, gebildete, vielfältig interessierte und hoch individualisierte Briten werden soll, fühlt sich durch die Einschaltquoten für die "Geschichte Großbritanniens" bestätigt. Der nächste Plan liegt schon auf dem Tisch: Gemeinsam mit einer noch zu bestimmenden Kommission renommierter Persönlichkeiten soll Schama eine Liste der hundert bedeutendsten Briten aller Zeiten erstellen. Nach der Devise "Wir setzen auf die Intelligenz unserer Zuseher" will BBC dann das Publikum aus den 100 die wichtigsten zehn Personen auswählen lassen. Über jede von ihnen wird dann eine einstündige Dokumentation gedreht. Alles Populismus, sagen Traditionalisten. Sie sind besorgt über weit reichende Budgetkürzungen in der Dokumentarfilmabteilung der BBC, derentwegen bereits einige führende Filmemacher der BBC den Rücken gekehrt haben. Auch unter jenen, die so großen Produktionen wie der von Schama gegenüber keineswegs abgeneigt sind, fürchten viele um die herkömmlichen hochqualitativen Dokus. Über so viele Jahre zählten sie zum wöchentlichen Kernprogramm der BBC, und ihre Verfechter wollen ihre Existenz auch im aktuellen Reality-Wahn sichern. (DER STANDARD, Print-Ausgabe 31. 5. 2001)