Am Ende steht die Torte. Sie ist nicht nur mengenmäßig die gewichtigste, sie nimmt auch in der Liga urbaner Süßigkeiten unbestritten den ersten Platz, die Nummer eins ein. Eine Stadt, die auf sich hält, hat zumindest eine Torte in ihrem Schaufenster stehen. Torten begleiten uns durch die Zumutungen des Lebens - von der Taufe über Geburtstag und Hochzeit schneiden wir uns regelmäßig ein Stück davon ab. Städte andererseits, zumal touristische, geleiten sie durch die Zumutungen von Fremd- und Eigenwahrnehmung. Die runden kulinarischen Stadtwahrzeichen auf Spitzenpapier bedienen zweierlei: Sie sind Teil exklusiver Selbstvergewisserung und zugleich auch frei gegebenes und feilgebotenes Präsent für den Besucher. Freilich mit Ablaufdatum. Denn jene aus Eidotter, Schlagobers, Marzipan und Nougat kreierten Identitäten haben den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass sie - im Unterschied zu anderen Stadtwahrzeichen - verlässlich verdaubar wie ausscheidbar sind, also temporär und nicht verwurzelt wie der Eiffelturm. Um für Wien zu sprechen: Mit den Lippizanern und den Sängerknaben muss ich voraussichtlich mein ganzes Leben verbringen, mit der Sachertorte verbindet mich nur ein halber Tag. Wenn überhaupt. (Wobei die Sachertorte zwar sprichwörtlich, aber nicht buchstäblich die Ortstorte ist; dazu später mehr.) Österreichs süße Stadtwahrzeichen bestehen aber nicht nur aus Torten. Es gibt auch Taler, Kugeln, Quader, Stollen und Törtchen. Wenn auch nicht in der Oberliga vertreten, so spielen diese nichtsdestotrotz eine ähnliche Rolle in diesem seltsamen Spiel. Ihre Ursprünge sind - dies gilt auch für Torten - zumeist recht banal: Kulinarische Stadtwahrzeichen sind nicht selten schlaue Anlass-Identitäten. Ihre Herkunft verliert sich, mit Ausnahme der Linzer Torte, nicht im Dunkel der Geschichte, sondern ist Resultat individueller Geschäftstüchtigkeit oder touristischen Marketings. Nicht zufällig hat in Wien jedes Hotel, das etwas auf sich hält, mit dem Tortenplatzhirschen hinter der Oper gleichzuziehen versucht und eine instanthistorische Bäckerei kreiert. Von Hans-Christian Heintschel Die Kriterien: Die Kriterien nehmen die Wahrzeichen beim Wort. Gibt es bei den Zutaten ein Bemühen um das Spezifische? Genügt sich das Süße selbst oder gibt es zusätzliche Stadtverweise? Schlussendlich: Wie schmeckt das Stadtwahrzeichen? Alles zusammen ergibt die Endbewertung. Mit Ablaufdatum, versteht sich, und radikal subjektiv. --> Zu den Ergebnissen: