Die real existierende Satire war wieder mal eine Fruchtbarkeitsgöttin aus Österreich und ergoss ihr Füllhorn verschwenderisch über dem Wiener Ballhausplatz: Ausgerechnet am 6. Juni, dem historischen D-Day, lädt Österreich in Person seines fleischgewordenen auswärtigen Lächelns zur "strategischen Partnerschaft" mit den Nachbarstaaten. "Quasi friendly takeover", würde Wolf Haas, zurzeit der beste Autor des Landes, hier wahrscheinlich texten. Nein, ganz im Ernst: Ein wahres mitteleuropäisches Benelux könne sich auftun, versprach Frau Ferrero und zählt auf geladene Politiker und Beamte aus Slowenien, Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen: eine künftige Interessengemeinschaft in der EU, wie man sie aus Nord-und Westeuropa kennt? Aber was kann die Außenministerin ihren Wunschpartnern sonst noch erzählen? Dass Österreich eine Fahrradbrücke nach Bratislava eröffnet hat? Oder dass der zeitliche EU-"Ostwall" gegen unerwünschte Arbeitskräfte aus der Region bald fertig ist? Und da ist noch ein Haken: Die Einladung kam ungefähr fünf bis zehn Jahre zu spät. Seit 1989 hat Österreich nichts viel anderes getan, als Chancen zu verschlafen und seine unverdient aufgehäuften zentraleuropäischen Credits zu verspielen. Inzwischen fehlen der "Brücke zwischen Ost und West" längst die Pfeiler, und aus dem selbstherrlichen Anwalt einer EU-Osterweiterung ist einer ihrer Bremser geworden: Scheinbar politisch korrekte "issues" wie Anti-Atomkraft-Bewegungen und Minderheitenschutz wurden missbraucht, um die Nachbarstaaten zu bevormunden und ihnen von Haiders Gnaden in Brüssel ein bürokratisches Bein zu stellen. Da kann man der "Mitteleuropa"-Begeisterung der Bunten Vögel rund um Ex-VP-Chef Erhard Busek noch so sehr ihre seinerzeitige Blauäugigkeit vorwerfen: Sie gründete wenigstens auf echten Gefühlen, wenn auch auf vagen. Herabwürdigung zum Klischee Hier fing freilich auch das Desaster der österreichischen (Kultur-)Außenpolitik in Zentraleuropa an: dass sie nämlich in kakanischer Nostalgie und in dem habsburgischen Mythos gründet, so sehr, dass sich auch der Erfinder des Letzteren, der Triestiner Kulturwissenschafter und Autor Claudio Magris, entschieden dagegen wandte. Schon Magris sprach von der "öden und undifferenzierten Verherrlichung Mitteleuropas, das oft zu einem abgestandenen, beliebig verwendbaren Klischee herabgewürdigt wurde (. . .) als Passepartout für eine konservative Haltung in Politik und Kultur". Es ist so, als hätte man den Italiener gebeten, das regionalpolitische Programm der österreichischen Regierung - und nicht erst der schwarz-blauen - zu charakterisieren. Und der Verdacht liegt nahe, dass der Mitteleuropa-Gedanke (der auf eine wehrpolitische Fiktion Friedrich Naumanns aus dem Jahre 1915 zurückgeht) nichts anderes ist als die Sehnsucht eines klein gewordenen Landes nach früherer Herrschaft und Bedeutung. "Mitteleuropa" in den 90er-Jahren: Das war vor allem der Gestus des verflossenen k. u. k. Kolonialherrn, der seinen ehemaligen Untergebenen jovial auf die Schulter klopft, nachdem er sie aus selbst verschuldeter Unmündigkeit, dem Kommunismus, entlassen sieht, ohne seine eigene Befangenheit in der Geschichte sehen zu wollen. Aus ihr hätte eine neue Verantwortung füreinander entstehen können, hätte man sich die Mühe gemacht, die gemeinsamen historischen Abraumhalden vor und nach 1918 zusammen aufzuarbeiten, auf denen die größeren Katastrophen des 20. Jahrhunderts ihren Nährboden fanden. Es geschah nicht: Stattdessen gefiel sich die kleine Alpenrepublik vor allem nach ihrem EU-Beitritt in der Pose des "big spender", der ohnehin dem "Osten" seine alte Kultur wiedergegeben hätte: Meinl, Kleiderbauer, Kaindl, und wie die Namen aus dem Parnass der Unsrigen sonst noch heißen mögen. Wen wundert es also, dass der lächelnden Maske Austrias an diesem 6. Juni mehr oder weniger Skepsis entgegenschlagen wird? Am deutlichsten hat sie der tschechische Außenminister Jan Kavan formuliert: Er habe nichts "gegen eine engere Zusammenarbeit in Mitteleuropa - vorausgesetzt, alle Beteiligten wären dabei gleichberechtigte Partner - und (er) fügte hinzu, dass Tschechien diese Kooperation bereits seit Jahren im Rahmen der so genannten Visegrád-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) zu vertiefen versuche." (DER STANDARD vom 28. 3. 2001) Hier wird vor allem eines deutlich: die Sorge um die "Gleichberechtigung", die Befürchtung, die Österreicher könnten sich jetzt von neuem irgendwo als Chefs aufspielen wollen. Statt gesichtslosem Lächeln, post(k. u.)kolonialer Bevormundung und lauwarmer Strategiepakete aus Wien brauchen die MOE-Staaten also dringend echte Partnerschaft, wie sie unter guten Nachbarn üblich ist. Ob das heute machbar ist? Sie haben sie inzwischen freilich anderwärtig gefunden: bei Deutschland, Italien und untereinander. Der erforderliche Rest wird wohl einer künftigen Regierung in Österreich vorbehalten bleiben, fürchte ich. (DER STANDARD, Print, 6.6.2001)