Mashhad - Fußballspielende Kinder waren es, die die Leiche in einer abgelegenen Straße am Rande der Stadt Mashhad in Osten Irans entdeckten. Man hatte Osra, 35, mit ihrem eigenen Kopftuch erwürgt, die Leiche in ihren Tschador eingewickelt und diesen an beiden Ende verknotet. Osra ist seit vorigem Sommer die zwölfte Frau, die in Mashhad, einem wichtigen schiitischen Wallfahrtsort, auf diese Weise starb: Der oder die Mörder schlugen immer am Freitag zu, keine der Frauen leistete Widerstand, keine wurde vergewaltigt, "Ein Kopftuch, zwei Knoten, zwölf Leichen" titelte das Monatsmagazin Zanan. Gemeinsam hatten alle Frauen, dass sie der Prostitution nachgingen, mit Drogen zu tun hatten und vorbestraft waren. Sie standen Abend für Abend am Rande einer Schnellstraße, die den Osten Irans mit dem übrigen Land verbindet und hauptsächlich von schweren Lastwagen befahren wird. Die "Lastwagenfrauen" steigen zum Fahrer in die Kabine und steigen mit Rauschgift und ein paar Geldscheinen wieder aus, wie das eben so ist. Auch in der Islamischen Republik. Im Winter berichtete Khorasan, eine Zeitung, die gleichzeitig in Mashhad und Teheran erscheint, erstmals über diese Morde. Erst im April nahm ein konservatives Blatt in Teheran auf seine Art Stellung: "Manche Mitbürger begrüßen diese Morde, da die Ermordeten die allgemeine Moral in einer heiligen Stadt verletzten." Gleichzeitig tauchten in Mashhad Flugblätter auf, in denen die Prostituierten darüber informiert wurden, dass "die Zeit der Warnungen jetzt vorbei" sei. Khatami ist schuld In Teheran tagte kurz danach der Nationale Sicherheitsrat, auch weil sich die liberale Presse lautstark für die Aufklärung der Mordserie einsetzte - und Fragen stellte: Woher wusste(n) der oder die Täter, dass diese Frauen vorbestraft waren, fragte etwa die Zeitung Hambastegi. Die Konservativen fühlten sich sofort betroffen: Resalat, eines ihrer Organe, beschwor, dass "im Gegensatz zu den Behauptungen der liberalen Presse diese Morde ohne jeden politischen Hintergrund" sind. Und sie nannten den Verursacher der Missstände beim Namen: Alles eine Folge der liberalen Politik der Regierung. Khatami ist schuld. Dass jemand mit den Morden genau diese Botschaft transportieren will, vermuten liberale Kreise: "Kurz vor den Präsidentschaftswahlen wollen gewisse Kräfte vermitteln, dass die Regierung die Sicherheit der Bürger nicht garantieren kann und dass die Unmoral alle vorstellbaren Grenzen sogar an einem heiligen Ort sprengt", sagte der Vizegouverneur der Provinz Khorasan, Hossein Saresefat. Die liberale Presse hat die Affäre zum Anlass genommen, sich näher mit dem Milieu zu beschäftigen. Die Familien der Ermordeten seien aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung nicht bereit, an der Aufklärung aktiv mitzuwirken, schreibt das von der Rechtsanwältin Shahla Sherkat herausgegebene Zanan. Und doch ist die Prostitution Realität. In einem Pressebericht, der dem Teheraner Stadtrat vorgelegt wurde, heißt es, dass das Durchschnittsalter der Prostituierten auf unter zwanzig gesunken sei und dass allein in Teheran mehrere Tausend junge Frauen auf die Straße gehen. Vor wenigen Jahren wäre so ein Bericht undenkbar gewesen, so etwas hatte es einfach nicht zu geben in Iran. (logh/DER STANDARD, Print, 6.6.2001)