Europa
Russisches Parlament gibt Atomlobby nach
Einfuhr von Nuklear-Abfall genehmigt - Moskau ignoriert Sicherheits- bedenken und hofft auf Milliardengeschäfte
Moskau - Das russische Unterhaus hat am Mittwoch einem umstrittenen Gesetzentwurf zum Import von ausländischem
Atommüll zugestimmt. In dritter und letzter Lesung votierten 243 Abgeordnete der Staatsduma dafür, "vorübergehend" die Einfuhr von
atomarem Abfall zur Weiterverarbeitung oder Lagerung zu erlauben. 125 Abgeordnete stimmten gegen den Entwurf, sieben enthielten sich
der Stimme. Mit der Maßnahme will Russland sich eine neue Einnahmequelle sichern: Laut Ministerium für Atomenergie könnte Moskau auf
Grundlage des neuen Gesetzes Verträge über 21 Milliarden Dollar (24,6 Mrd. Euro/338 Mrd. S) abschließen. Bevor das Gesetz mit der
Unterzeichnung von Präsident Wladimir Putin in Kraft treten kann, muss noch der Föderationsrat zustimmen. Dessen Präsident Jegor Strojew
äußerte jedoch Bedenken. Auch russische Umweltschützer und Wissenschaftler erhoben Protest. Details unklar
Derzeit verbietet das russische Gesetz den Import von atomarem Müll aus dem Ausland. Wie lange der Atommüll künftig gelagert werden
darf, geht aber nicht aus dem Text hervor. Sollte der Entwurf auch vom Oberhaus verabschiedet werden, könnte Russland nach Angaben des
zuständigen Ministeriums Verträge über die Wiederaufbereitung von 20.000 Tonnen Atommüll aus Deutschland, China, Japan, Spanien,
Schweiz und Taiwan abschließen. Dadurch könnten in den kommenden zehn Jahren rund 21 Milliarden Dollar zusätzlich in den russischen
Staatshaushalt einfließen. Rund 70 Prozent der Einnahmen sollen dem Entwurf zufolge in die Modernisierung und die Sicherheit alter
russischer Atomreaktoren gesteckt werden.
Der Sprecher des traditionell dem Präsidenten nahe stehenden Oberhauses, Strojew, äußerte ernsthafte Bedenken. "Wir werden uns mit
dieser Entscheidung Zeit lassen", kündigte er vor der Duma an. Zunächst müssten die Folgen der Gesetzesänderung und mögliche
Sicherheitsgarantien überprüft werden. Nach einer Umfrage des Soziologischen Instituts VTSIOM lehnen 81 Prozent der Russen den
Gesetzentwurf ab.
Heftige Proteste
Umweltschützer hatten während der ersten und zweiten Lesung im Unterhaus heftig gegen die Regierungspläne protestiert. Einige hatten sich
vor dem Eingang der Duma angekettet. Anlässlich der entscheidenden Lesung am Mittwoch demonstrierten etwa 50 Umweltschützer und
Mitglieder der liberalen Jabloko-Partei gegen die erwartete Zustimmung der Duma. Das Gesetzesvorhaben gefährde die Sicherheit des
Landes und missachte die Rechte der Bürger, kritisierte ein Sprecher von Greenpeace Russland.
Neun Angehörige der russischen Akademie der Wissenschaften forderten Putin auf, das Gesetz zu verhindern. "Im Falle einer massiven
Einfuhr würden die unvermeidbaren Nebeneffekte das Leben der russischen Bevölkerung für Jahrhunderte gefährden", hieß es in einem Brief,
der in der Duma verteilt wurde. Die Wissenschaftler warnten darin vor "katastrophalen ökologischen Folgen". Die Behörden missachteten
oder verschwiegen die Haltung der Wissenschaftler, die nicht der Haltung der Atom-Lobby entspreche, kritisierten sie. Einem vor kurzem
veröffentlichten Bericht zufolge lagern in Russland bereits 14.000 Tonnen hoch radioaktiven Atommülls aus russischen Reaktoren und
Waffenfabriken. (APA)