London - Das britische Mehrheitswahlrecht bringt immer wieder Ergebnisse zu Stande, die in Mitteleuropa undenkbar wären: So gewannen die Konservativen 1951 unter Winston Churchill die absolute Mehrheit der Sitze, obwohl sie mit landesweit 48 Prozent weniger Stimmen bekommen hatten als Labour mit 49 Prozent. 1983 bekamen die regierenden Konservativen 1,5 Prozentpunkte weniger Stimmen als 1979, verdreifachten aber ihren Mandatsvorsprung im Parlament. Mit 42 Prozent der Stimmen eroberte Margaret Thatcher 61 Prozent der Unterhaussitze. "The winner takes it all" - der Gewinner bekommt alles, der Verlierer nichts. Das ist die Grundregel des über Jahrhunderte gewachsenen britischen Wahlrechts. Jeder Wahlbezirk wählt seinen eigenen Abgeordneten, und nur einer kann siegen. Wie viel Prozent der Stimmen er bekommt - ob 90, 50 oder nur 20 - ist egal; es darf nur keiner mehr haben. Ein solches System begünstigt natürlich ein Zwei-Parteien-System, da die Wähler kleinerer Parteien meist von vornherein wissen, dass ihre Stimme verloren ist. Die Vorteile: klare Verhältnisse im Parlament, stabile Regierungen, kaum Chancen für Extremisten. "Direkte Demokratie" nennen das die Briten. Lange Koalitionsverhandlungen gibt es nicht. Am Tag nach der letzten Unterhauswahl im Mai 1997 etwa fuhr der geschlagene Premierminister John Major morgens zur Königin, reichte seinen Rücktritt ein, und am Mittag war die neue Regierung im Amt. Das Volk hatte gesprochen. Das Nachsehen aber haben stets die Liberaldemokraten, die drittstärkste politische Kraft im Land. Bei einem Verhältniswahlrecht hätten sie vor vier Jahren 110 Mandate errungen, doch sie bekamen nur 46. So drängt die Partei schon seit langem auf eine Wahlrechtsreform, doch bisher hat sich Labour nicht dazu durchringen können. Denn die Partei von Premierminister Tony Blair müsste dafür ihre zurzeit beherrschende Position freiwillig aufgeben. (APA/dpa)