Zagreb - Der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic habe "die Welt betrogen", als er nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) vorgab, für den Erhalt Jugoslawiens zu kämpfen. Milosevic habe stattdessen ein "Großserbien" schaffen wollen, erklärte der kroatische Präsident Stipe Mesic zehn Jahre nach Erlangung der kroatischen Unabhängigkeit in einem Interview mit der Austria Presse Agentur in Zagreb. Die Unabhängigkeit Kroatiens, die am 25. Juni 1991 proklamiert wurde, sei "die einzige Möglichkeit gewesen", so Mesic, der zum Zeitpunkt des Zerfalls kroatischer Vertreter im Staatspräsidium Jugoslawiens war und somit als "letzter Präsident" der SFRJ in die Geschichte einging. Seit dem Vorjahr ist Mesic Präsident der Republik Kroatien. Aus Anlass des Jahrestags sprach er unter anderem über den Weg in die Selbstständigkeit, die innenpolitische Lage, die Sinnlosigkeit des Nationalismus und die Zukunft eines Vereinten Europas. Frage: Sie waren bereits 1991 ein führender kroatischer Politiker. Wann fiel die definitive Entscheidung, den Unabhängigkeitsprozess Kroatiens einzuleiten? Mesic: "Die Volksrepublik Jugoslawien wurde durch drei Faktoren zusammengehalten. Titos Charisma, die Kommunistische Partei und die Volksarmee. Tito starb, die KP zerfiel und die Armee unterstützte Milosevic. Der einzige Ausweg war daher, eine Lösung zu finden, wie sie schon 1974 ins Auge gefasst worden war. In einer Verfassung, die das Recht auf Unabhängigkeit beinhaltete. Die Unabhängigkeit Kroatiens war die einzige Lösung, als wir in den frühen 90-er-Jahren realisiert haben, dass Jugoslawien nicht aufrecht zu halten war". "Er hat die Welt betrogen "Slobodan Milosevic war sich dessen ebenfalls bewusst. Er wollte auf den Ruinen Jugoslawiens ein Großserbien aufbauen. Daher plante er einen Krieg, um Land zu erobern, und kalkulierte Kriegsverbrechen und Völkermord dabei ein. Er hat die Welt betrogen, in dem er sagte, er kämpfe für Jugoslawien. Wegen der Rolle, die Jugoslawien während des Kalten Krieges gespielt hatte, wurde ihm das geglaubt. Daher war die Internationale Gemeinschaft zurückhaltend bezüglich der Kriegsverbrechen und den Agressionen, die in Slowenien begannen, in Kroatien und Bosnien-Herzegowina fortgesetzt, und schließlich im Kosovo beendet wurden". Frage: Wie schätzen sie die soziale Lage Kroatiens nach zehn Jahren Unabhängigkeit ein? Mesic: "Unglücklicherweise hatten wir enorme Konsequenzen zu tragen. Viele Menschen starben. Infrastruktur und Wirtschaft lag am Boden. Nebenbei hatten wir auch ein falsches Privatisierungsmodell, das dazu angetan war, auf künstliche Weise hundert Familien reich zu machen, die dann die kroatische Wirtschaft führen sollten. Das hat zum Kollaps der Wirtschaft beigetragen". "Kroatien muss Investitionen anziehen "Die Folge sind 400.000 Arbeitslose, eine Million Pensionisten und nur 1,2 Millionen Menschen mit voller Beschäftigung. Der einzige Weg aus dieser Krise ist, Kroatien als Rechtsstaat zu präsentieren, als Ort, an dem Investitionen sicher sind. Kroatien muss seine Kapazitäten auch im Ausland zeigen, ausländische Investitoren anziehen, und dann alle Ressourcen aktivieren". Frage: Die jüngsten Kommunalwahlen haben gezeigt, dass die Bevölkerung genauso polarisiert ist wie im Jahr 1990. Hat sich die Demokratie in Kroatien nicht weiterentwickelt? Mesic: "Das politische Spektrum Kroatiens kennt Parteien mit Programm und die Kroatische Demokratische Gemeinschaft/HDZ. Der HDZ ist es bisher nicht gelungen, sich von einer nationalen Bewegung zu einer Partei mit Profil zu entwickeln. Bezeichnend ist, dass sie bei den Kommunalwahlen einen "Kroatischen Block" gebildet hat. Können Sie sich so etwas in Österreich vorstellen? Einen "Österreichischen Block"? Ein "Kroatischer Block" ist Unsinn, weil alle registrierten Parteien Kroatiens kroatische Parteien sind." "Kein Revival des Nationalismus" "Jeder in Kroatien ist für Kroatien, aber wenn nur damit Politik gemacht wird, wird die Sache grotesk. Bis zu den nächsten Wahlen wird sich die HDZ hoffentlich als seriöse Rechts-Partei profiliert haben. Die Wahlen waren aber kein Revival des Nationalismus. Es wurde bloß versucht, mit dem Nationalismus einer gewissen Anzahl von Wählern so viele Punkte wie möglich zu machen. Die meisten Wähler wurden aber von großen Themen beeinflusst wie der Globalisierung oder der Idee eines neuen Zusammenlebens in dieser Region." Frage: Die Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawien haben also keine Chance, eine neue Gemeinschaft zu bilden? Mesic: "Nur als Mitglieder der EU. Aber sie sollten anhand des Regatta-Modells beitreten. Jedes Land soll dann zur EU kommen, wenn das notwendige Niveau erreicht ist. Europa kann nur als Einheit konkurrenzfähig bleiben. Heute gegenüber Amerika und Japan. Morgen gegenüber China. Ich bin ein großer Anhänger der europäischen Integration - ein vereintes Europa ist unser Schicksal und unser Ziel. Es wird offene Grenzen geben und Mechanismen, die über demokratische Prozesse wirtschaftliche und finanzielle Lösungen beisteuern, wobei jede Nation in ihrem eigenen kulturellen Umfeld leben kann. Damit werden neue Kriege um Grenzen sinnlos. In einem Vereinten Europa gibt es den Krieg als politisches Argument nicht mehr." Frage: Bis es so weit ist - hat Montenegro ein Recht auf Eigenständigkeit? Mesic: "Wenn die montenegrinischen Bürger sich so entscheiden, ja. Das wäre keinesfalls dramatisch, sondern der Schlusspunkt des Zerfalls. Das Recht, das den anderen Teilstaaten zugebilligt wurde, steht auch Montenegro zu. Auch das Kosovo war ein konstitutionelles Element der ehemaligen Föderation und hatte seine Vertreter im Staatspräsidium. Die Genozid-Politik von Milosevic hat aber Spuren hinterlassen und es ist schwer vorstellbar, dass das Kosovo bei Serbien bleibt, wenn sich die Politik Serbiens ihm gegenüber nicht radikal ändert. Das Kosovo betreffend sollte Belgrad jetzt eine Politik der Toleranz verfolgen und die Kriegsverbrechen verurteilen. Außerdem sollten Partner gefunden werden, um nach den Kosovo-Wahlen im Herbst Verhandlungen führen zu können." Frage: Werden Sie in Mazedonien vermitteln? Mesic: "Wenn mich Mazedonien einlädt, werde ich hinfahren. In Mazedonien müssen radikale Entscheidungen getroffen werden, um eine politische Lösung zu finden. Dieser Konflikt kann nicht militärisch gelöst werden." (APA)