Bestimmte Bilder haben sich so stark in das Gedächtnis gebrannt, dass man jene vergisst, die eine andere Geschichte großer Zeiten erzählen. Der Anschluss 1938 beispielsweise: Der Braunauer fährt unter dem Jubel Hunderttausender durch die Straßen, die Szenen sind von Wien bis Innsbruck austauschbar: verzückt heulende Frauen, mauloffen zum Führer hinaufglotzende Männer und ein Wald emporgereckter Arme, die wie vom Wind bewegt vor- und zurückschwanken. Mit Mühe nur können Uniformierte die Massen zurückdrängen und dem "Abtrittfeger der Geschichte", wie ihn der Publizist Alfred Kerr genannt hat, den Weg bahnen. Die andere Seite der Geschichte hat weniger Bilder. Der Widerstand gegen das NS-Regime war kein Thema für die Kameras des Dritten Reiches. Wie vielfältig und gefährlich, hoffnungslos und zugleich Hoffnung stiftend dieses Unterfangen war, zeigt die ORF-Dokumentation Widerstand in Rot-Weiß-Rot. Andreas Novak hat für seinen Beitrag die Großtaten der kleinen Leute festgehalten, die in der offiziellen Geschichtsschreibung so gerne in wenigen Nebensätzen abgefertigt werden. Mehr als 100.000 Österreicherinnen und Österreicher haben als "Systemfeinde" ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Ihre Motive waren so unterschiedlich wie die Mittel, derer sie sich bedienten. Dankenswerterweise hat Novak nicht nur die bekannten, quasi offiziell Bedankten zu Wort kommen lassen, sondern vor allem die fast Vergessenen: den Innsbrucker Hubert Mascher etwa, der einer Gruppe monarchistisch gesinnter Widerstandskämpfer angehörte, oder die heute 96-jährige Salzburgerin Agnes Primocic, die aus simplem Mitleid, dem klarsten aller Gründe, zwanzig KZ-Häftlingen das Leben rettete. Novak hat sich auch nicht gescheut, die Namen der Denunzianten zu nennen, die solche Charaktere ans Messer lieferten - der Vollständigkeit halber, vermutlich, und sicher aus Gründen generationsübergreifender Katharsis. (kob/DER STANDARD, Print-Ausgabe,