Tokio - Nur knapp zwei Jahre nach der schlimmsten Rezession in der Nachkriegsgeschichte befindet sich die japanische Konjunktur wieder auf Talfahrt. Statt wie von der Regierung vorausgesagt zu wachsen, schrumpfte das Bruttoinlandprodukt in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 0,2 Prozent und auf das Gesamtjahr 2000/01 hochgerechnet, betrug Nippons Wirtschaftswachstums nur 0,9 Prozent. Auf die trüben Wirtschaftszahlen reagierte vor allem der Yen in Tokio. Die Landeswährung schwächte sich am Montag gegenüber dem Dollar um rund ein Prozent auf 121,57 Yen ab. Der Nikkei-Index brach um 1,5 Prozent auf 13 226,48 Zähler ein. Für Ministerpräsident Koizumi und seine neue Regierung, die mit einer Unterstützung von über 80 Prozent der Bevölkerung so populär wie kein anderes Kabinett in den letzten 15 Jahren ist, stellt sich die Frage, ob die geplanten Wirtschaftsreformen überhaupt umsetzbar sind. Koizumi plädiert für empfindliche Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, die rasche Abschreibung von Problemkrediten im Bankensektor, sowie Deregulierungsschritte in der Binnenindustrie. Kritiker freilich warnen davor, dass Japan in einer Zeit der weltweiten konjunkturellen Abkühlung mit diesem Programm in eine langdauernde Rezession absinken könnte, die frühestens in zwei Jahren wieder positive Wachstumszahlen zulassen würde. Yen-Abwertung Deshalb plädieren zwei amerikanische Ökonomen - Jeffrey Sachs und Paul Krugman - für einen gegenteiligen Kurs. Statt mit Strukturreformen die Arbeitslosigkeit (4,8 Prozent) zu erhöhen und eine neue Welle von Konkursen auszulösen, plädieren die beiden Ökonomen für eine massive Lockerung der Geldpolitik durch die Notenbank und eine drastische Abwertung des Yen gegenüber dem Dollar und dem Euro. Da die japanische Notenbank erst im März wieder zu einer faktischen Nullzinspolitik zurückgekehrt ist, müsste sie den Geldhahn mit dem direkten Kauf von Staatsanleihen öffnen und ein Inflationsziel von geschätzten zwei Prozent anpeilen, um Japan aus dem derzeitigen deflationären Umfeld zu hieven. Die japanische Notenbank (BoJ) lehnt solch unkonventionelle Rezepte noch ab, obwohl sie ihre Haltung in den vergangenen Wochen leicht verändert hat. Notenbankchef Masaru Hayami, der maßgeblich für die harte Linie der BoJ verantwortlich ist, erkennt das deflationäre Umfeld in Japan noch nicht in seinem vollem Umfang an und betrachtet die Notenbank auch als Instrument um Strukturreformen im Lande voranzutreiben. Kritiker werfen ihm vor, die grundlegende Aufgabe einer Notenbank, nämlich die Preisstabilität zu garantieren, zu missachten und machen ihn für die wirtschaftliche Schwäche Japans ebenso verantwortlich, wie die Politiker, die bis vor kurzem glaubten, dass eine Wende im Konjunkturgang mit gigantischen Konjunkturspritzen zu realisieren sei. Die Vorgänger von Koizumi haben damit Japan zum höchstverschuldeten Industrieland gemacht, das Ende dieses Fiskaljahres unter einer Schuldenlast von 666 Bio. Yen oder 130 Prozent eines jährlichen Bruttoinlandproduktes ächzen wird. Export als Motor Zumindest sprang in den letzten zwei Jahren die Exportindustrie als ein Motor für die japanische Konjunktur ein. Die jüngsten Zahlen weisen nun darauf hin, dass dieser Sektor seine aktive Rolle mittels höheren Kapitalinvestitionen nicht mehr übernehmen kann. Verantwortlich dafür sind der Einbruch der Nachfrage im Hauptmarkt USA. Unter dem Strich heißt dies, dass Japan im laufenden Fiskaljahr das von der Regierung vorausgesagte Wachstum von 1,7 Prozent nie erreichen wird, sondern mit einem Minus gerechnet werden muss. (André Kunz, DER STANDARD, Printausgabe 12.6.2001)