Musik
Die Verheißung süßer Sünde
The Return of Roxy Music - Exklusiv-Bericht eines Begeisterten
Nach 18 Jahren Pause kehrte vergangenen Samstag eine der
einflussreichsten Popbands aller Tage zurück auf die Bühne:
Roxy Music
. Vom Auftakt ihrer Reunion-Tournee in
Dublin
berichtet ein begeisterter
Karl Fluch
.
Dublin - Brian Eno lehnte
die Einladung mitzuspielen
dankbar ab. Und lauscht man
den Roxy-Music-Aufnahmen
der 80er-Jahre, ist gut nachzuvollziehen, warum das Gründungsmitglied dieser
wegbereitenden Band heute meint,
"der Gedanke an eine Reunion
nach all den Jahren" erzeuge
bei ihm dann doch "einen etwas unangenehmen Beigeschmack. Aber viel Glück und
nichts für ungut an den Rest
der Band."
Die 80er-Jahre gelten im
Roxy-Music-Universum definitiv nicht als künstlerisch
wertvollste Zeit. Die beiden
letzten Alben vor dem Bruch
der Band erinnern an eine etwas zu oft verdünnte Suppe,
die sich, zur Zeit des New Wave, als sich die Geschmacksrichtungen änderten, ein
wenig schal ausnahm.
Trotz kommerzieller Erfolge
mit Songs wie More Than This
oder Jealous Guy, einer John-Lennon-Interpretation, die der
Band 1981 ihren einzigen
Number-One-Hit einbrachte.
Diese Alben läuteten das
grausame Zeitalter des Safer
Sex ein. Auch bei Roxy Music.
Wo früher Extravaganz und
Ausschweifung mit der richtigen Dosierung fleischlicher
Lust - also das volle Programm
- für Auf-, An- und vor allem
Erregung sorgten, zog das Biedermeier des Wohlstandes
ein. Keine wilden Partys
mehr, eher Blumen züchten
am Landsitz war angesagt.
Albumtitel wie Flesh & Blood
zum Trotz. Auf diesem verhießen dann auch die berühmt gewordenen lasziven
Coverschönheiten ein letztes
mal süße Sünde: das Ende einer Ära.
Avalon, das in jeder Hinsicht letzte (reguläre) Album
der Band, brach schließlich
selbst mit dieser Tradition
und mit ihr 1983 die Band.
Man darf es also als eine gewisse Ironie der Geschichte
deuten, dass sich ausgerechnet bei dem dünnen Titelsong
dieses finalen Albums das Publikum des Point Theatre in
Dublin erhob, um den Saal im
sanften Sturm zu nehmen. Die
Mannschaft oben auf der
Bühne - insgesamt zehn Personen umfassend und mit einem sichtlich gerührten
Bryan
Ferry in ihrem Zentrum -
nahm die Geste dankbar zur
Kenntnis. Vorbereitet hatte
diesen zärtlichen Ausbruch
Richtung Party die Band in der
Stunde davor.
Nach 18 Jahren Pause erhob
sich erstmals wieder der Vorhang für Roxy Music: Diese
eröffneten programmatisch
mit Re-make/Re-modelsic!, dem
Titelstück des Debütalbums
der Briten aus dem Jahr 1972,
und definierten damit einen
Neuanfang: "Ladies and Gentlemen! This is Roxy Music",
konstatierte Ferry nach dem Song-Ende und drang damit
tief in die Herzen von mehreren Generationen kreischender Fans ein.
Pop und Avantgarde
Ferry, stilsicher im silbernen Anzug, ließ auch in den
Folgenummern Street Life und
Ladytron jene energetische
Brillanz aufblitzen, mit der
Roxy Music die frühen 70er-Jahre aufmischten. Neben David Bowie gelang es damals
keiner anderen Band, mit dem
Anspruch, Avantgarde und
Pop zu vereinen, so erfolgreich zu werden.
Alben wie das titellose Debüt oder For Your Pleasure mit
Amanda Lear am Cover, die
gerade ihren schwarzen Panther Gassi führt, gelten heute
als moderne Klassiker der
Popmusik.
Bereits der Bandname, von
Ferry in einem TV-Interview
als etwas erklärt, "das dauerhaft Glamour, Exotik und -
ganz wichtig! - Romantik evozieren sollte", besaß eine vergleichslose Anziehungskraft,
die durch krasse exzentrische
Aufmachung aller Protagonisten zusätzlich verstärkt wurde: Eno bezirzte nicht nur als
androgynes Fabelwesen, sondern auch mit exzentrischen
Synthesizerklängen. Ferry
galt als distanzierter Sexgott,
der Rest der Band als leckere
Damenspende. Zu dieser Zeit
bewohnten Roxy Music das
Penthouse im Gebäude Pop.
Dass man, auch wenn man
dort bereits wieder ausgezogen ist, in Würde altern kann,
bewies nun der erste Auftritt
ihrer Reunion-Tour. Meist
werkgetreu verhandelten
Roxy ihr eigenes Erbe: von der
seltsamen Plastik-Country-Gitarre in If There Is Something
bis zum dramatischen Geigenspiel in Out Of The Blue, das
sich orgasmusähnlich an seiner höchsten Stelle verabschiedet und so gleichzeitig an
seinem Höhepunkt den Song
beendet.
Diese exakte Umsetzung garantierten neben Ferry Andy "Edel-Vokuhila" Mackay an
Saxophon und Klarinette sowie Phil Manzanera an der Gitarre. Ferrys Französisch
klang in der todtraurigen Ballade Song For Europe noch genauso schlicht wie 1974,
während Killer wie Both Ends Burning oder Editions Of You ihre
Tanzbarkeit auch im Jahr 2001
eindrucksvoll bestätigten.
Unterbrochen wurde der
Triumph nur durch die Höflichkeit der Band, die den Gitarristen Chris Spedding einmal
unnötig lang solieren ließ,
oder durch den Umstand, dass
sie Material aus dem grandiosen Album Manifesto gänzlich
aussparte. Unverständlich, da
dieses mit seiner Nähe zu Disco heute wohl am ehesten
zeitgenössisch klingt - was bei
zeitloser Musik natürlich eine
vernachlässigbare Kategorie
ist. Trotzdem schade.
Finale grande!
Nach dem Pflichtbesuch bei
den 80er-Jahren und einem
wie immer von Ferrys feuchten Lippen gezwitscherten
Jealous Guy, dessen gehauchte
Song-Zeile "I was feeling insecure" gleichzeitig treffend
seine berühmt ungelenke
Bühnenpräsenz beschrieb,
setzte man zum finalen
Streich an. Nach einem kurz
angedeuteten Konzertende
donnerten in einem Stück Virginia Plain, Love Is The Drug
und Do The Strand in den noch
immer anhaltenden Applaus.
Was für ein Finale! Was für eine Wiederkehr!
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 6. 2001)