Da zeigte selbst der ausgefuchste Diplomat Rührung. "Ich bin wirklich stolz, Italien im Ausland vertreten zu dürfen. Wir Italiener haben den Hang, uns ständig zu streiten und den Wert unseres Landes in der Welt viel zu gering zu schätzen", sagte ein sichtlich bewegter Renato Ruggiero nach seiner Vereidigung als neuer Außenminister. Mehr als 40 Jahre lang war der Berufsdiplomat in der Welt unterwegs, jetzt - mit 71 - kehrt er zurück. 1956 begann er seine Arbeit an der Botschaft in Sao Paulo, es folgten Moskau, Washington und Belgrad - alles "heiße" Botschaften, in denen nicht nur die diplomatische Tagesarbeit zählte, sondern auch Durchsetzungsvermögen und zähes Verhandlungsgeschick. "Rocky" Wer diese Botschaften "überlebt", ist zu Höherem bestimmt, sagte am Montag ein Freund des neuen Außenministers. Und der bullige Neapolitaner, dem Kollegen nicht nur wegen seines Aussehens, sondern auch wegen seiner Entschlusskraft den in Diplomatenkreisen doch recht unüblichen Spitznamen "Rocky" verpassten, wurde zur EU-Kommission beordert, stieg zum Kabinettschef des Kommissionspräsidenten auf, wechselte kurzerhand nach Rom und wurde dort unter Bettino Craxi Außenhandelsminister. Als einer der wenigen der damaligen Regierung behielt er immer eine saubere Weste, machte sich als begeisterter Europäer einen Namen. 1995 kam der große Aufstieg. Renato Ruggiero wurde Chef der Welthandelsorganisation WTO. Auch in dieser Funktion setzte sich der anfänglich misstrauisch Beäugte durch. Dort, wo die Wirtschaftsinteressen von mehr als 130 Staaten auf einen Nenner zu bringen waren, fühlte er sich sichtlich wohl. Starke Nerven, Ausdauer, Sitzfleisch waren gefragt, legendär ist der sechsmonatige Verhandlungsmarathon um die Teilnahme Bill Cintons an der 50-Jahre-Feier des Beginns des freien Welthandels im Jahre 1998. Jeden Tag soll Ruggiero mit der US-Führungsspitze Kontakt aufgenommen haben. Clinton kam nach Genf. "Bipartisan" Staatspräsident Ciampi hatte Premier Berlusconi zu verstehen gegeben, dass der neue Außenminister "bipartisan" sein, über den Blöcken stehen müsse - Ruggiero ist da der richtige Mann: Er ist ein Freund Henry Kissingers und Giovanni Agnellis - der Fiat-Chef soll ihn übrigens Berlusconi empfohlen haben. Genauso holte sich auch Massimo D'Alema Rat bei ihm, Antonio Bassolino schätzt ihn wegen seiner unorthodoxen Entwicklungsideen für den Süden, selbst Teile der Gewerkschaften loben ihn. Jetzt beginnt das Schwergewicht der Regierung sein Heimspiel im römischen Außenamt. Gerade hier orten Kenner die einzigen Feinde des dreifachen Familien- vaters - seine Exkollegen. Ruggiero kennt Leben, Lieben und Leiden all seiner Angestellten. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 12. 6. 2001)