Wien - Die Rosstäuscher sind unter uns. Der Tauschmarkt im weitesten Sinne ist immer schon auch ein Markt des Täuschens und des strategischen Spiels gewesen. Dass die Strategien nicht immer aufgehen und der Täuscher als Getäuschter den Markt verlässt, ist trotz aller Rationalität, deren sich ökonomische Modelle befleißigen, weniger ausgleichender Gerechtigkeit des Schicksals zuzuschreiben als der einseitigen Betonung einer abstrakten Rationalität. Wie es die Wirtschaftswissenschafterin Caroline Gerschlager in der Projektbeschreibung für die vom Wissenschaftsministerium finanzierten "Cultural Studies" darstellt, legen List, Schwindel, Betrug, Verführung, Überredung, Übervorteilung und Verrat die Vermutung nahe, "dass sie eine wesentliche Rolle für das Funktionieren von sozialer Organisation insgesamt spielen". Aber Gerschlager, Lehrbeauftragte an der Wirtschaftsuniversität und an der Uni Wien, hat weniger eine soziokulturelle Untersuchung im Blick als vielmehr Vorarbeiten für die Erweiterung bestehender ökonomischer Theoriebildungen. Schließlich wüssten wir bis heute etwa nicht genau, auf welche Weise Finanzmärkte aufeinander reagieren oder Börsenindices zustande kommen. Abschied von der Ökonomiekritik Die Rolle, die irrationaler Überschwang dabei spielt, ist zwar im Alltag bekannt, aber nicht Gegenstand ökonomischer Modellbildung. Wie Gerschlager betont, verstehe sie dieses Forschungsvorhaben daher mehr als "Abschied" von der Ökonomiekritik und als Neuansatz, der die mathematisch orientierte ökonomische Spieltheorie zu den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften hin öffnet. Daher fehlen in ihrem internationalen Expertenteam auch die Anthropologen nicht. Dass das Spiel von Täuschung und Selbsttäuschung über den sozialen Tauschverkehr auch für die internationalen Märkte, den Tauschhandel und Warenverkehr Bedeutung hatte, zeigt das weite Spektrum neuzeitlicher Staatstheorie (im weitesten Sinne): von Machiavelli über Baltasar Gracián bis hin zur Literatur über den "Hofmann". Die Intrige und der adäquate strategische Umgang mit dieser "Umgangsform" stehen im Mittelpunkt. Politische Ökonomie ist noch keine Fachdisziplin. Die entsteht erst im bürgerlichen Zeitalter, Schlüsselname dafür: Adam Smith, der mit seinem berühmten Konzept der "invisible hand" noch die Täuschung und schon die Allgemeine Gleichgewichtstheorie berücksichtigt. Der bürgerliche Markt würde, im freien Spiel der Kräfte und befreit von feudalen Monopolen wie hierarchischen Privilegien und merkantilen Praktiken, über Angebot und Nachfrage erzielen, was bis dahin (und bis heute) nicht erreicht war: den Sieg des freien über den kontrollierten Markt - zum kollektiven Nutzen. Die Allgemeine Gleichgewichtstheorie, im späten 19. Jahrhundert tatsächlich als solche erstmals formuliert und erst in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts auch mathematisch nachgewiesen, bildet, so Caroline Gerschlager, noch heute den Kern der ökonomischen Theoriebildung. Aber die für alle Märkte optimale Situation - sämtliche Markt-Akteure ziehen daraus quasi automatisch Gewinn, auch wenn das nicht der Intention des einzelnen Teilnehmers entspringt - ist blanke Theorie geblieben. Zudem sanktioniert sie ein Abweichen in die Übervorteilung mit wirtschaftlichem Verlust. Die eng definierten Ausgangsbedingungen der Modellrechnung bestehen ja nur auf dem Papier. Vor allem, weil (so eine Hauptthese Gerschlagers) das Problem der Täuschung aus kulturwissenschaftlicher Sicht ausgeblendet bleibt. Der Abstraktionsgrad ist so hoch, dass Täuschung und Selbsttäuschung nur noch in formelhaften Risikokalkülen und deren Aggregierung ihren Niederschlag finden. Durch die Einbeziehung der Denkfigur sozialer Täuschungsmanöver könnten auch kontraintentionale Effekte verstärkt für die Ökonomie fruchtbar gemacht werden. Ansatzpunkte hierfür gibt es bereits in den neueren Entwicklungen der ökonomischen Theorie, zum Beispiel der Spieltheorie oder Neuen Institutionellen Ökonomie. Und vice versa: Auch der kulturwissenschaftliche Blick könnte dadurch eine Erweiterung erfahren. Das Forschungsprojekt befindet sich noch am Beginn. Ein Schlussbericht in Form einer Publikation soll erst in einem Jahr vorliegen. Vielleicht kann in einem ersten Schritt geklärt werden, ob und inwiefern die Täuschung systemisch oder systematisch in den Griff zu bekommen ist.