Wien - Einen "Schattenbericht" zum Nationalen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung (NAP) wird die Armutskonferenz, ein österreichisches Anti-Armuts-Netzwerk, nach Brüssel senden. Die nationalen Regierungen hatten sich beim EU-Gipfel von Nizza verpflichtet, bis 1. Juni Aktionspläne gegen Armut vorzulegen. Mit dem Schattenbericht wolle man die EU-Institutionen auf die Verfehlungen Österreichs aufmerksam machen. "Ein Bericht wie ein magisches Beschwörungsritual - voller sollte, könnte, müsste", kritisiert Michael Chalupka von der Diakonie den Aktionsplan. 900.000 Österreicher leben derzeit von weniger als 10.000 Schilling im Monat und gelten somit als armutsgefährdet. 340.000 Menschen sind tatsächlich von Armut betroffen - das heißt, sie haben zusätzliche Belastungen wie Schulden oder aushaftende Kredite zu tragen. Die Armutskonferenz vermisst eine Gesamtstrategie, Grundsicherungsmodelle sowie Ansätze zur Öffnung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Migranten. Regierungsvorhaben wie die Verwaltungsreform würden im Aktionsplan in den Kontext der Armutsbekämfpung "gepresst". Als Beispiele armutsverstärkender Maßnahmen führen die Sozialexperten Kürzungen bei der Notstandshilfe, Streichungen der Familienzuschläge beim Arbeitslosengeld und die Besteuerung der Unfallrenten an. Diese Maßnahmen wären, so Chalupka, bei einem "poverty proofing", also einer Prüfung aller politischen Maßnahmen auf ihre Sozialverträglichkeit analog zu Umweltverträglichkeitsprüfungen, durchgefallen. Die Kritik der Armutskonferenz richtete sich auch gegen die mangelnde Einbindung von NGOs (nicht staatliche Organisationen). Michaela Moser vom European Anti-Poverty Network setzt ihre "strategischen Hoffnungen" auf die EU: "Es bedarf strengerer EU-Vorgaben. Empfehlungen allein sind zu wenig." Für das Fehlen der Armutsbekämpfung auf der politischen Prioritätenagenda macht Moser mangelnde Wählerstimmenrentabilität verantwortlich: Die von der Armut am stärksten Betroffenen wie allein erziehende Mütter, Langzeitarbeitslose und Migranten hätten keine Lobby. (sfm/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13./14. Juni 2001)