Kunst
Masse und Macht doch mal Platz
Die 32. Art Basel führt wieder einmal vor, was Größe ist
Der Österreicher hat sich, so eine jüngste Erhebung, in seinem Leben statistisch mit sieben Frauen eingelassen. Pablo Picasso ist dem Bewohner der Alpenrepublik wie in so vielem anderen auch in sexueller Hinsicht unterlegen, bezeugt des Meisters Leben und Arbeiten doch tatsächlich eine Gespielin weniger. Das Sextett aus Fernande Olivier, Olga Koklova, Marie-Thér`ese Walter, Dora Maar, Francoise Gilot und Jacqueline Picasso hat in dieser Bildwelt hinlänglich seinen Niederschlag gefunden. Diese Eignung als Beweismittel macht die Werke denn auch so wertvoll.
Tatsächlich eine Gespielin weniger? Von 9,5 Mio. Dollar, das heißt fast 150 Mio. Schilling, muss man sich trennen, wenn man auf der Baseler Messe ein Gemälde haben will, das den Maler nun in flagranti festhält. Von Marlborough Zürich/London angeboten, 1954 entstanden, zeigt eine sitzende Frau vor rotem Hintergrund. Die Dame heißt weder Francoise noch Jacqueline, sondern Sylvette.
Das Illegitime fordert offenbar seinen Preis, denn ein sehr ähnliches und sehr gleich großes Porträt der offiziellen Mademoiselle Gilot kostet bei Nahmad/London gleich um mehr als ein Drittel weniger, nämlich sechs Millionen Dollar. Bei Beyeler, dem Oberhaupt der Lokalmatadoren, schließlich ist ein weibliches Bildnis aus dem Jahr 1939, und das muss nach Lage der Dinge bedeuten: eine Darstellung von Dora Maar, deren 5,5 Millionen wert. Wer bei all den Gesichtern nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht, kann sich bei Beyeler an einem Fernand Léger, datiert 1930, um 8,5 Mille - wir sprechen immer noch von Dollar - schadlos halten. Da sind die 5,5 Mio. Schilling, die die Bochumer "galerie m" für eine Geigenspielerin sehen will, die Lovis Corinth 1900 malte, geradezu geschenkt.
Basel ist mehr denn je eine Angelegenheit, die ins Große zielt, und da sind Provenienzen gern einmal etwas für die Portokasse. Alexej von Jawlensky, der in letzter Zeit eine doch sehr wundersame Oeuvrevermehrung erfahren hat, wuchert wie Häuptelsalat - allein fünf Gemälde bei Landau/Montreal mit Preisen zwischen 3,5 und 4,5 Mio. Schilling.
Wenn man Picasso zwar mag, aber seinen Damenbildnissen die Skulpturen vorzieht; wenn man die Klassiker der Moderne darüber hinaus zwar nicht mag, aber sowieso den Verdacht hat, dass ein Menschenleben nicht ausreicht, um all das auf einer einzigen Baseler Messe als eigenhändig Präsentierte ins Werk zu setzen; wenn man schließlich noch ein Herz für die Art Cologne und ihre zweifellos ausgeprägtere Avanciertheit hat, dann ist man auf der Art Basel gerade richtig.
Denn dann kann man sich in die Abteilung für Fotografie fallen lassen. Kraus/New York hat etwa noch einen Patroklus auf Lager, die Inkunabel schlechthin des Lichtbilds, bei dem Henry Fox Talbot, der Pionier schlechthin des Lichtbilds, eine seiner Gartenplastiken vor die Linse brachte. Das Werk ist unverkäuflich, aber was ist in Basel schon so umstandslos zu erwerben (es geht die Mär, dass diesmal eine Galeristin, als sie, von dem, was vor Ort das Nachtleben ist, gezeichnet, zehn Minuten nach Messe-Eröffnung an ihren Stand kam, ausverkauft melden konnte)?
Gustave LeGray ist der Picasso unter den Fotografen, und sein Konterfei der französischen Flotte vor Cherbourg, auf die Platte gebannt in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, kostet eben bei Kraus 250.000 Dollar - mehr als dreieinhalb Millionen Schilling für einen Papierabzug von 20 auf 30 Zentimetern! In dieser Abteilung, die als einzige die - sowieso absurde - Definition, Moderne sei ausschließlich eine Sache des 20. Jahrhunderts, durchbricht, hat auch die Wiener Galerie Faber eine Koje und zeigt entsprechende Klassiker: Henri Cartier-Bresson, Brassai und vor allem die vielen Österreicher wie Heinrich Kühn, die - im Gegensatz zu den Malern - nach wie vor unterschätzt sind.
Art Unlimited nennt sich eine weitere Messe in der Messe, und sie widmet sich den Übergrößen. In der neuen Halle 1, in der Prince Charles bequem Polo spielen könnte, ist, von einer Jury autorisiert und subventioniert, eine Ausstellung aufgebaut, wie man sie aus den ästhetikseligen 80ern kennt. Videokammern, begehbare Skulpturen und Multimedia-Installationen fügen sich zum Bilderstreit.
Elke Krystufek baut hier, von der Galerie Kargl betreut, Zelte auf, deren Seitenwände ihre Malereien bilden (jeweils 350-420.000 Schilling). Karin Sander und die Galerie nächst St. Stephan haben einen Sattelschlepper geparkt, in dem man computergesteuert für jeweils 15.000 Schilling 30 Zentimeter hohe Kleinplastiken nach der eigenen Figur formen lassen kann - Mini-Klone, die schon einmal plausibel machen, wie es sich mit dem Zwilling aus der Retorte lebt. Erwin Wurm hat bei Krinzinger einem Alfa Romeo Adipositas verpasst: Fat Car, mit seinen Plastikwülsten und -Schwarten, kostet eine Million Schilling und hat einfach Witz, jenen Witz, der so oft bei Wurm und so selten auf dieser Messe vorkommt.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16./17. 6. 2001)