Der Welser Papier- und Büroartikelgroßhändler Anton Stahrlinger, einer breiteren Öffentlichkeit völlig unbekannt, schickt sich an, in die Fußstapfen von André Rettberg als neuer "Mister Libro" zu treten. Rettberg hat mit der Buch- und Medienhandelskette einen spektakulären Bauchfleck hingelegt. Stahrlinger braucht nun neben handfestem Sanierer-Know-how viel Fingerspitzengefühl für das Machbare. Das Libro-Image ist enorm angekratzt. Die Lieferanten sind verunsichert. Die Personalfluktuation liegt bei 60 Prozent. Dazu kommen alte Seilschaften von Rettberg, die kein Interesse daran haben, dass allzu viele Details rund um eine Sonderdividende vor dem Börsengang von fast einer halben Milliarde bekannt werden. Auch das Verschieben von Libro-Verlusten in die totgesagte Internettochter Lion.cc soll nicht verbreitert werden. Stahrlinger muss Libro vor allem schnell auf gesunde Beine stellen. Er plant eine Fusion von Libro mit seiner PBS-Papiergruppe, um später mit knapp acht Umsatzmilliarden in Europa "auf den Tisch zu hauen". Die Libro-Zielgruppe sei die Internetgeneration, Lion.cc also grundsätzlich logisch. Auch die Deutschland-Filialen würden nicht einfach geschlossen, alles hänge vom richtigen Konzept ab. Auch wenn Stahrlinger als Logistikexperte gilt und schon 700 Millionen im E-Commerce macht - die Größenordnung der Lion.cc-Verluste -, klingt das nach den geplatzten Sprechblasen von Rettberg. Stahrlinger hat zwar mit Billa-Chef Veit Schalle einen kompetenten Berater an der Seite. Auch die Banken dürften beim zweiten Anlauf gescheiter sein. Ein "Angriff auf das ausländische Großkapital" kann aber nur in die Hosen gehen. Die europäischen Mitspieler sind um Zehnerpotenzen stärker, Bertelsmann kostet auch Libro-Neu nur ein Schmunzeln. (DER STANDARD, Printausgabe 13.6.2001)