Welt
"Forscher beteiligt an Nazi-Verbrechen"
Die Max Planck- Gesellschaft bittet die Opfer einstiger Menschenversuche um Entschuldigung
Berlin/Wien - "Führende deutsche Wissenschafter haben daran mitgewirkt, NS-Verbrechen vorzubereiten, und sie haben sie genutzt, um jenseits aller moralischen Grenzen ihre wissenschaftlichen Ziele zu verfolgen. (. . .) Ich möchte mich für das Leid entschuldigen, das den Opfern im Namen der Wissenschaft angetan wurde", erklärte Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), auf einem Symposium in Berlin, "und ich entschuldige mich für den lange mangelnden Willen mancher Mitwisser oder gar Mittäter, sich ihrer historischen Verantwortung zu stellen."
"Kollegiale Schonung"
Zu verantworten sind Menschenversuche von Mitgliedern der Vorgängerorganisation der MPG, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Und zu verantworten ist der schleppende Umgang mit der Erblast, den Markl "kollegialer Schonung" und der Tatsache zurechnet, dass "zu viele aktiv oder passiv an der Nazi-Diktatur mitgewirkt hatten."
Erst 1997 setzte die MPG eine Historikerkommission ein. "Nun liegen Befunde vor, die eine geistige Miturheberschaft und zum Teil aktive Mitwirkung an den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes zweifelsfrei belegen": Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft haben
1. "die NS-Rassengesetzgebung und ihre praktische Anwendung unterstützt, teilweise sogar angeregt",
2. "Euthanasieverbrechen begangen",
3. "vorgeblich wissenschaftliche Forschungsmöglichkeiten in NS-Zwangsanstalten wie (. . .) dem KZ Auschwitz genutzt".
Was das hieß, berichtete auf dem Symposium Eva Mozes Kor, eine Überlebende der Zwillingsexperimente, die der Arzt Josef Mengele in Auschwitz durchführte: "Uns wurden Keime und Chemikalien injiziert. Wenn ein Zwilling an den Folgen der Experimente starb, erhielt der andere eine Phenol-Injektion ins Herz, und dann wurden an beiden vergleichende Autopsien vorgenommen." Von 3000 Zwillingen überlebten keine 200.
Trotzdem hat Eva Kor für sich eine "Heilung von den Schrecken" gefunden: "Ich habe den Nazis vergeben", 1995 in einer öffentlichen "Amnestie", die sie auch ganz aktuell empfiehlt. "Ich sehe eine Welt, in der die Staatschefs den Akt der Vergebung, Amnestie und Versöhnung unterstützen - anstelle von Gerechtigkeit und Rachsucht. Wir haben in Bosnien, dem Kosovo und Ruanda gesehen, dass die Opfer zu Tätern geworden sind. Lassen Sie uns etwas Neues ausprobieren, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen." (jl, DER STANDARD, Print-Ausgabe 15. 6. 2001)