Sogar das Fernsehen kommt vor: Der Berliner Rundfunksender Witzleben hat 1929 mit dem Ausstrahlen von Fernseh-Versuchssendungen begonnen - auch daran erinnert der Off-Kommentar in Hellmuth Costards Film aus dem Jahr 1981, der seinen Titel jenem Ort und einem verwitterten Bahnhofsschild verdankt. "Witzleben" ist ein filmisches Experiment, das man mit Godards "Numéro deux" vergleichen könnte. Ein Dokumentarfilm, der seine Protagonisten im Abspann als "Darsteller" anführt. Autofahrten spielen eine große Rolle und das bundesdeutsche Straßennetz. Erst mit der Zeit wird klar, dass das Zentrum des Films eine Tankstelle ist und "Witzleben" sich vor allem um den Alltag der dort lebenden und arbeitenden Besitzer dreht. Benzinpreiserhöhung In Gesprächen bei Tisch treten die unterschiedlichen Lebensauffassungen der Generationen - der Kriegs- und der Nachkriegsgeneration - zutage. In beobachtenden Sequenzen werden Alltagssplitter sichtbar - amerikanische Soldaten in der Frühstückspension, Benzinpreiserhöhungen, ein Kind beim Baden. Costard (1940-2000) hatte während der 60er- und 70er-Jahre begonnen, als unabhängiger Filmemacher zu arbeiten. Rund um den Ausschluss seines Films "Besonders wertvoll" bei den Oberhausener Kurzfilmtagen 1968 formierten sich die Filmemacher des Oberhausener Manifests. Mit "Witzleben" verwirklichte er sein Vorhaben, einen Film zu drehen, der ohne herkömmliche Erzählformen auskommt und dem Zuschauer Raum lässt, sich (s)eine Erzählung im Verlauf des Films selber zu erarbeiten: "Wir wollten in diesem Film die Zeit erzählen", hat Hellmuth Costard zu "Witzleben" geschrieben. Heute, mit dem Abstand von 20 Jahren betrachtet, wird um- so deutlicher, wie viel damalige bundesdeutsche Gegenwart auf diese Weise beiläufig aufgezeichnet wurde. (irr/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. Juni 2001)