Wien - Der "Scherzbold" war höchstwahrscheinlich ein defektes Getriebe. Entgegen ersten Vermutungen von Feuerwehr und Polizei ist der "Gasalarm" vom Dienstag und Donnerstag in der Wiener U-Bahn nun eher doch nicht auf ein Stinkbomben-Attentat zurückzuführen. Vielmehr sei ein Öl-Additiv im schadhaften Getriebe einer U-Bahn-Garnitur schuld am üblen Geruch in den Untergrund-Röhren gewesen, erklärte Volker Edlinger, der Leiter der Kriminaltechnik im Innenministerium, im Gespräch mit dem STANDARD.

Dieses Additiv, so die Kriminaltechnik-Experten, sei ein so genannter Oxidationsstabilisator, wie er üblicherweise Motorölen beigemengt werde. In diesem Fall sei das verschleißmindernde Zeug aber auch dem Getriebeöl der U-Bahn-Garnitur zugefügt worden. Aufgrund eines Getriebedefektes sei der Schmierstoff schließlich extrem erhitzt worden, habe sich zu zersetzen begonnen und so genannte Thio-Verbindungen freigesetzt, die üblicherweise zur geruchlichen Kennzeichnung von Erdgas benutzt werden.

Die Identifikation der Substanz, die den "widerlichen Geruch" in den U-Bahnschächten verursacht hat, wurde inzwischen auch durch mehrere Tests mit einem so genannten Gaschromatographen bestätigt. Ob diese Thio-Verbindung toxisch für den Menschen ist, sei eine Frage der Dosis. Jedenfalls ist sie schon lange "riechbar", bevor sie von einem Messgerät überhaupt wahrgenommen werden kann. Die Messmenge muss um ein Zehntausendfaches größer sein, als jene Menge, die bereits über den Geruchssinn wahrgenommen werden kann.

"Stimmige Erklärung"

Das ist nach Ansicht der Kriminaltechniker vorerst "die stimmigste Erklärung" für den Gasgeruch im U-Bahnnetz. Damit werde auch einigermaßen nachvollziehbar, wieso der Gestank in den Stationen und am Zug wahrnehmbar war und über längere Zeiträume auftreten konnte. "Ein Scherzkeks", so ein Beamter, "hätte in mehrere Stationen einsteigen müssen, um einen solchen Effekt zu erzielen. Das wäre sicher irgendjemandem aufgefallen."

Allein: Die These vom einem olfaktoterroristischen Anschlag ist damit noch nicht zur Gänze widerlegt. Endgültige Sicherheit werden die Experten nach umfangreichen Laboranalysen erst kommenden Montag haben. Dann, kündigte der Wiener Branddirektor Friedrich Perner an, werde man "die endgültige Ursache mit 99prozentiger Sicherheit" wissen.

Schadenersatzklage

Für den Fall, dass es sich doch um einen "Scherzbold" gehandelt haben sollte, würden die Wiener Linien das dem Täter übel nehmen: Sollten er ausgeforscht werden, "ist es durchaus denkbar, dass wir eine zivilrechtliche Schadenersatzklage vorbereiten". Dies kündigte ein Sprecher der Wiener Linien im STANDARD-Gespräch an.

Der Schaden "aus nicht verkauften Einzelfahrscheinen" - weil die U-Bahnen stundenlang still standen - wird auf gut eine halbe Million Schilling geschätzt. Dazu kommen Kosten für erhöhten Personalbedarf, Überstunden oder Kosten, die auflaufen, wenn Zugsgarnituren nicht eingesetzt werden können - das macht in Summe einen Schaden von mehreren Millionen Schilling.

Auch die Wiener Feuerwehr könnte sich an dem "Scherzbold" allenfalls schadlos halten: Wer einen Einsatz der Stadtfeuerwehr aus "grob fahrlässigen Gründen" auslöst, muss dafür auch die Kosten übernehmen - wird in der Gebührenabteilung der Wiener Stadtfeuerwehr aus dem Feuerwehrgesetz zitiert. Branddirektor Friedrich Perner will jedenfalls die Kosten - deren Höhe ist noch nicht errechnet - für den Großeinsatz von einem möglichen Täter zurückfordern. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 16./17.6.2001)