Wien - Für Embryonen, die bei der In-vitro-Befruchtung überbleiben, sah der Fortpflanzungsmediziner Johannes Huber in seinem Eröffnungs-Statement in der Wiener Hofburg zwei "zutiefst problematische" Lösungsmöglichkeiten: sie zu töten oder "verbrauchende Wissenschaft". "Mit einem Schlag" lösen lasse sich das Problem durch Adoption oder durch "Umprogrammierung" des Embryos zu einer Organspende. Diese Antwort formulierte der studierte Theologe auch als "goldene Brücke" für die Amtskirche.Kunst und Medizin Der Maler Arnulf Rainer zeigte sich fasziniert von den neuen Möglichkeiten der Medizin. "Es macht mich verlegen. Die Kunst ist eben kein Leitgebiet mehr wie in der Renaissance", meinte er. Als Künstler könne er seiner Fantasie freien Lauf lassen und "sich alles Mögliche ausdenken. "Das Generelle der Kunst ist, aus vielen Teilen ein Ganzes zu bilden. Das soll viel mehr sein als eine Addition der Teile, sie sollen sich gegenseitig multiplizieren. Diese Verdichtung ist ein Geheimnis, das wir thematisch nicht auflösen, was wir aber als Erlebnis nachvollziehen können." Auf der Suche nach dem Gemeinsamen mit der Wissenschaft sei ihm nur "die Fruchtbarkeit" eingefallen. Die Kunst samt Mythologie, baute Huber seinem Gegenüber eine Brücke, könne mit der Naturwissenschaft sehr viel zu tun haben. "Die Kunst erahnt oft Jahrtausende früher etwas, bis die Wissenschaft dann sagt: Wir berechnen das genau und haben die Lösung." ",Ahnen' gefällt mir nicht", erwiderte Arnulf Rainer. Künstler seien "keine höheren Wesen. Ich glaube eher, dass die Kunst sensibel auf Neuigkeiten reagiert, die vielleicht für die normalen Menschen nicht so wichtig sind." "Wenn Sie sich die griechischen Chimären anschauen", illustrierte Johannes Huber seine These, "haben hochsensible Künstler und Denker schon vor 3000 Jahren etwas im Kopf gehabt, was die Naturwissenschaft heute im übertragenen Sinn und komplizierter auf den Tisch legt". Die folgende Diskussion kreiste vor allem auch um mögliche medizinische Anwendungen neuer Techniken. Diskussionsleiter Alfred Payrleitner berichtete von "erschütternden" Fehlschlägen der Forschung (Missbildungen beim Klonen von Tieren). Huber entgegnete, dass genau deshalb - quasi zur Optimierung der Verfahren - die Computertechnik in der Medizin nötig sei. Computerchips, die die genetische Information ablesen können und vor der Markteinführung stehen, könnten aber zu Diskriminierung bestimmter Risikopatienten durch Ver- sicherungen führen, wandte Payrleitner ein. Auch Huber lehnt diese Art von Mehrklassenmedizin ab: "Gefordert ist die Humanität der Gesellschaft", so der Vorsitzende der Ethikkommission, "und gefordert sind Menschen wie Künstler, die frei sind von jeder Bestechung durch die Naturwissenschaft" und daher Werte einbringen könnten. Zur Debatte um die umstrittene Verwendung embryonaler Stammzellen für die Forschung fragte Payrleitner, warum man sich nicht auf die adulten Stammzellen (etwa aus dem Knochenmark) konzentriere. Diese hätten genetischen "Müll" durch virale Verseuchung angehäuft, meinte Huber. Die Podiumsdiskussion kam schließlich auch auf die Kernfrage nach dem Beginn menschlichen Lebens. Die Eizelle der Mutter und die Samenzelle des Vater blieben die ersten 24 Stunden nach der Vereinigung zusammen, ohne dass es zu einer Zellteilung komme, argumentierte Huber. "Das ist noch kein Leben. Die väterlichen Chromosomen arbeiten gar nicht, die werden einfach mitgeschleppt." Der Gynäkologe erntete dafür - wie für andere kleine Seitenhiebe - Gelächter im Saal. Befragt zur in Deutschland heftig diskutierten Prä-Implantations-Diagnostik (PID), also der "Qualitätsprüfung" eines in vitro gezeugten Embryos vor seiner Einpflanzung, plädierte Huber wegen des therapeutischen Potenzials für eine offene Haltung: "Ich persönlich finde es ethisch vertretbar, einem Kind durch eine Genintervention einen Diabetes zu ersparen. Aber ich sehe die Gefahr, dass eine Just-for-fun-Gesellschaft sagt: ,Ich will nur die Blonden oder die Jungen.'" Einwand einer Diskussionsteilnehmerin aus dem Publikum: Sie sagen, die Medizin darf alles, solange es gut ist für den Menschen. Ich habe da eine Horrorvision: Wir werden einmal nur mehr alte Menschen haben, die nicht sterben wollen, sondern sich durch Stammzellen regenerieren. Huber: Im Heilen soll man die Medizin nicht bremsen. Aber die große Versuchung unserer Gesellschaft liegt nicht darin, dass irgendwann einmal ein Klon herumläuft. Sondern in der Tatsache, dass sich die Lebenszeit der Menschen durch die Erkenntnisse der Medizin explosionsartig prolongiert. Frage eines Diskutanten: Wir haben jetzt von Ihnen gelernt, dass wir Ersatzteile für den Menschen produzieren können. Gibt's für Sie eine Obergrenze für das Alter? Huber: Eine Lehrmeinung sagt, dass die physikalische Obergrenze zwischen 105 und 115 Jahren liegt. Eine andere glaubt, das Programmieren und Reprogrammieren von Zellen wird ad infinitum gehen. Aber wir haben hier noch keine Antwort. (DER STANDARD, Print-Ausgabe 16./17. 6. 2001)