Als in Argentinien, wo ich diese Zeilen schreibe, der neue Präsident Fernando de la Rúa vor einem Jahr sein Amt übernahm, traf er sich tags darauf mit einer Delegation des Internationalen Währungsfonds. Das war seine erste "außenpolitische" Handlung. De la Rúa hatte versprochen, die Korruption zu bekämpfen und etwas gegen die Zerrüttung des Sozialgefüges zu unternehmen, die der zehnjährige Ultraliberalismus seines Vorgängers bewirkt hatte. Inzwischen ist längst klar, dass sich an der bisherigen Politik nichts geändert hat und nichts ändern wird. Die wahren Herren sind, in Argentinien wie fast überall auf der Welt, die nicht demokratisch gewählten Manager einer Handvoll Organisationen wie IWF, Weltbank, Welthandelsorganisation. De la Rúas außenpolitische Geste war damals von allen Medien als politische Normalität verbucht worden, ihre Bedeutung hinterfragte niemand. Seit ihrem Buch Der Terror der Ökonomie versucht Viviane Forrester, ein Geflecht von Erscheinungen beim Namen zu nennen, das so offensichtlich ist, dass man es kaum bewusst wahrnimmt. Die weltweiten Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre haben zu einem gesellschaftlichen Desaster geführt. Schuld daran ist nicht "die Globalisierung", ein facettenreicher, meist unbestimmt bleibender Begriff, sondern die Politik des Ultraliberalismus und, parallel dazu, eine ökonomische Dynamik, die nicht mehr gesellschaftlich kontrolliert wird. Globalisierung, darauf besteht Forrester, ist nicht gleichbedeutend mit Ultraliberalismus. Die technologischen Fortschritte bieten zahlreiche Chancen und nötigen keineswegs dazu, einen bestimmten politischen Weg einzuschlagen. Allerdings machen die neuen Technologien zahllose Arbeitsplätze überflüssig. Die Vision von automatisierten Betrieben, einst als positive Utopie entworfen, ist inzwischen Wirklichkeit geworden. Forrester betont, dass Massenarbeitslosigkeit, wie sie besonders in Frankreich herrscht, heute kein Krisensymptom im herkömmlichen Sinn ist, sondern dass die Konzerne darauf angewiesen sind und sich damit brüsten, ihre Angestellten zu entlassen. Die von ihr zitierten Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Wo "Mitarbeiter" abgebaut werden, steigen die Aktienkurse. Aus dieser Tatsache folgt, dass die Rede von Vollbeschäftigung, ja von Beschäftigung überhaupt, heute anachronistisch ist. Auch hier gilt es zu unterscheiden: Beschäftigung ist nicht gleichbedeutend mit Arbeit, einem, so Forrester, wesentlichen menschlichen Bedürfnis. Und die offiziellen Arbeitslosenstatistiken, deren Zahlen mit allen Mitteln nach unten gedrückt werden, verhüllen die Wirklichkeit, statt sie bekannt zu machen. In den USA gibt es den Begriff der "working poor", der eine riesige Menschengruppe umfasst, die es bei noch so viel Arbeit nicht schafft, sich eine einigermaßen würdige Existenz zu verdienen. Kurzfristige Jobs, keinerlei soziale Absicherung, sinnlose Fortbildungskurse, Unterbezahlung, Teilzeitarbeit und, was die USA betrifft, zwei Millionen Gefängnisinsassen - so sieht die Wirklichkeit aus. Forrester bezeichnet das als "Karikatur eines tätigen Lebens". Die großen Gewinne aber werden längst nicht mehr mit der Herstellung von Produkten gemacht, sondern mit Spekulationsgeschäften. Die Wirtschaft ist dabei, sich zu virtualisieren. Gleichzeitig beschleunigt sich der Wettlauf der Fusionierung, die Tendenz zum Monopol, womit auch das ideologische Gerede von einer freien Marktwirtschaft, die das höchste Gut sein soll, Lügen gestraft wird. Die Millionen Menschen, die dabei auf der Strecke bleiben, die Ausgegrenzten, die "unwürdigen" Sozialhilfeempfänger, Sozialschmarotzer, wie die Populisten sagen, profitieren von dieser Diktatur des Profits nicht. Sie bleiben auf der Strecke, sind überflüssig geworden, oft fehlt ihnen sogar die Möglichkeit, in dem, was ihnen zustößt, etwas anderes zu sehen als persönliches Versagen. Wenn Menschen als überflüssig gebrandmarkt werden, wenn ihre reale Überflüssigkeit (für eine zunehmend virtualisierte und automatisierte Ökonomie) nicht mehr als problematisch empfunden und dargestellt wird, hat sich die Gesellschaft auf den Weg zu einem neuen Faschismus begeben. Liegt da nicht der Gedanke nahe, die Überflüssigen zu entsorgen? Mit Ausländern fällt das leicht, mit Inländern bisher noch nicht. Das sind die warnenden Schlussfolgerungen Forresters. Was Lösungsansätze betrifft, Alternativen zum ultraliberalen Modell, das sich als das einzig vernünftige geriert, so wehrt sich die Autorin gegen den Zwang, jede Kritik mit positiven Überlegungen begleiten zu müssen. Auch das sei eine Strategie des Ultraliberalismus, so Forrester. Und sie fordert zum Widerstand auf, richtet sich an die "breite Masse" wie auch an die Vertreter der "politische Klasse", denen es oft nur an Mut fehle, um ihre Dissidenz gegenüber der geheimen Weltregierung zu äußern. Da und dort lässt sie die Vorstellung von traditionellen, nützlichen Produkten und Dienstleistungen anklingen, die wiederhergestellt werden sollten. Es fehlt doch an Ärzten und Lehrern - warum sind so viele ausgebildete Lehrer arbeitslos und werden die Studienzugänge begrenzt? Es mangelt an Handwerkern - und es gibt bald keine Handwerker mehr. Die unausgesprochenen Konsequenzen von Forresters Überlegungen scheinen mir indessen viel radikaler zu sein. Im Grunde laufen sie auf eine definitive Entwertung von "Beschäftigung" oder "Erwerbsarbeit" hinaus. Warum sich noch länger über Massenentlassungen entrüsten? Bei dem Reichtum, den die Menschheit angehäuft hat, müsste es möglich sein, jedem Bürger des Planeten ein Mindesteinkommen zu garantieren. Damit wären auch die Probleme von wirtschaftlicher Rationalisierung und Automatisierung gelöst, und vielleicht sogar die der Migration. Die Menschen könnten sich kreativen Tätigkeiten widmen, je nach Lust und Laune und Notwendigkeit. Der technisch-wissenschaftliche Fortschritt würde dadurch womöglich beschleunigt. Auch bisher entstanden große Neuerungen meist nicht unter Konkurrenzdruck, sondern in virtuellen Kriegsspielen und abgedichteten Forschungsinstituten. Solche Vorstellungen liegen auf der Linie der Sozialutopisten des 19. Jahrhunderts, zu denen auch der junge Karl Marx gehörte. Ein Zweifel, den ich mir anzumelden erlaube: Ihre Realisierung setzt bewusste, schöpferische, arbeitsame Menschen voraus. Was, wenn ihr Gros nicht doch eher faul, gelangweilt und verspielt ist, besonders, wenn sie nicht mehr "zur Arbeit gehen", wie das in den letzten zwei Jahrhunderten üblich war, sondern allenfalls zu Hause den Computerdeckel aufmachen, um sich mit einem ungreifbaren "Arbeitgeber" in Verbindung zu setzen? Was, wenn die Leute mit ihrer Freizeit nichts anfangen können? Oder ist die Alternative zum Elend des Ultraliberalismus unweigerlich eine Welt der Animation, der arrangierten "Erlebnisse", der virtuellen Autorennen und Schwertkämpfe, der einsamen Pornographie? Ein Nachsatz: Das vorletzte Buch Viviane Forresters war im österreichischen Zsolnay Verlag erschienen. Dem Vernehmen nach wollte die Autorin ihr neues Buch nicht in einem Land publiziert sehen, wo nach den Nationalratswahlen der "neue Faschismus" so weit fortgeschritten war. Das halte ich für ein Missverständnis, das einen nach der Lektüre von Die Diktatur des Profits nur erstaunen kann. Die derzeitige österreichische Regierung ist nichts anderes als ein Musterschüler des Ultraliberalismus. Von ihr hat die diktatorische Weltregierung des Profits am allerwenigsten zu befürchten. Will man das von Forrester gekennzeichnete Übel an der Wurzel packen, wird man sich Österreich bestimmt nicht als Terrain aussuchen. Hier bekommt man weiter nichts als eine kleine Blüte zu fassen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe 16./17. 6. 2001)