Europa
Türkei: Entscheidung über Verbot von islamischer Tugend-Partei
Verstoß gegen Trennungsprinzip von Staat und Religion
Istanbul/Ankara - Der türkische Verfassungsgerichtshof wird voraussichtlich Mitte der Woche über ein Verbot der islamistischen Tugend-Partei (Fazilet Partisi/FP) entscheiden, die mit 102 von 550 Abgeordneten die stärkste Oppositionsfraktion im Parlament in Ankara stellt. Der von Recai Kutan geführten Partei wird zur Last gelegt, in Fortsetzung der verbotenen Wohlfahrtspartei (Refah Partisi/RP) gegen die Verfassungsprinzipien des Laizismus (Trennung von Staat und Religion) zu verstoßen.
Die Wohlfahrtspartei des früheren Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan war 1998 vom Verfassungsgerichtshof in Ankara aufgelöst, Erbakan selbst mit einem fünfjährigen politischen Betätigungsverbot belegt worden. Nach Einschätzung der türkischen Generalstaatsanwaltschaft zieht der 75-jährige Erbakan auch bei der Tugendpartei die Fäden. Erbakan war 1996/97 elf Monate an der Spitze einer Koalitionsregierung gestanden.
Nachwahlen möglich
Ein Verbot der FP würde das politische Gleichgewicht in der Türkei deutlich verschieben und hätte unter Umständen Nachwahlen zur Folge. In der Gesellschaft schwindet offenbar der Einfluss der Partei. Bei den Wahlen 1999 stimmten nur 15 Prozent für sie. Derzeit zeigen Umfrageergebnisse die Tugendpartei unter zehn Prozent. Ein Verbot könnte den militanten Islamisten eher neuen Aufschwung geben, befürchten Politikexperten.
Die türkische Militärspitze hat den islamischen Fundamentalismus kürzlich als schleichende Gefahr bezeichnet. Die Zeitung "Hürriyet" zitierte Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu mit den Worten: "Der radikale Islam ist noch nicht am Ende. Er ist nur in Deckung gegangen." Der Islamismus in der Türkei könne von einem auf den anderen Tag wieder hochkommen. Die Armee werde als Hüterin des kemalistischen Vermächtnisses ein wachsames Auge haben. (APA/dpa/Reuters)