Die bevorstehende Ablösung des geschäftsführenden Vizedirektors des Internationalen Währungsfonds (IWF), Stanley Fischer, markiert das Ende einer Epoche. Denn all diejenigen, die während der globalen Krisen von 1997/98 an der Spitze der Organisation standen (Fischer, der geschäftsführende Direktor Michel Camdessus, Chefökonom Michael Mussa sowie die hinter den Kulissen tätigen Robert Rubin und Larry Summers aus dem US-Finanzministerium) sind bereits gegangen oder im Begriff zu gehen. Den Misserfolgen in Indonesien, Thailand und Korea von 1997 folgten Fehlschläge in Russland und Brasilien im Jahr darauf: Versuche, die Wechselkurse auf einem überhöhten Niveau zu halten, kosteten die Steuerzahler in diesen Ländern Milliarden von Dollar. Sie gaben jedoch den Investoren den entscheidenden Aufschub, um sich zu günstigen Bedingungen aus dem Staub machen zu können. Erst eine Abwertung der Währung machte Wachstum in diesen Ländern wieder möglich. Glaubwürdigkeit Mit jedem Misserfolg verlor der IWF an Glaubwürdigkeit. Die Tropfen, die das Fass schließlich zum Überlaufen brachten, waren die diesjährigen Krisen in der Türkei und in Argentinien. Kaum hatte Fischer verkündet, man sei nun auf Kurs, brach in der Türkei die Panik aus. Argentinien, lange Zeit Musterschüler des IWF, wurde für die Senkung der Inflationsrate und die Stabilisierung der Währung gepriesen. In dieser Lobeshymne übersah der IWF, dass Argentiniens Wachstumsrate stagnierte und das Land seit fünf Jahren an einer zweistelligen Arbeitslosenrate litt. Ohne Wachstum wird für Argentinien aber die Rückzahlung der enormen Schulden immer schwieriger. Gescheitert Die Folge dieser Fehlschläge war ein weltweiter Konsens darüber, dass das Management der globalen Finanzkrise gescheitert sei und die globale Wirtschaftsarchitektur einer grundlegenden Reform bedürfe. Jetzt fehlt noch ein Konsens darüber, wie diese Reform aussehen soll. Der IWF scheint aus seinen Fehlern viel gelernt zu haben - jedenfalls auf rhetorischer Ebene. Er gibt zu, dass die von ihm geförderte weltweite Liberalisierung des Kapitalmarktes eine große Instabilität hervorgerufen hat und ein Schlüsselfaktor der globalen Finanzkrise war. Er gesteht außerdem ein, dass die Umstrukturierung des indonesischen Bankensystems zu einem Ansturm auf die Banken geführt und dass die übertriebene Restriktionspolitik in Ostasien den Abwärtstrend noch verstärkt hat. Aber der IWF muss sich jetzt noch fragen, wie diese Fehler passieren konnten. Er muss seine neue Rhetorik in Politik umsetzen. Das nächste IWF-Team sollte folgende Überlegungen berücksichtigen:
  • Wirtschaft ist keine Frage der Ideologie, sondern die praktische Anwendung von Faktenkenntnis und Theorie. Welche Fakten ließen zum Beispiel darauf schließen, dass eine Liberalisierung der Kapitalmärkte in den armen Ländern ein schnelleres Wachstum zur Folge hätte? Bevor man dem internationalen Wirtschaftssystem Änderungen aufzwingt, sollte man diese durch handfeste Tatsachen untermauern. Welche Fakten legten nahe, dass hohe Zinssätze in durch kurzfristige Schulden hoch belasteten Volkswirtschaften zur Stabilisierung der Wechselkurse beitragen würden? Bevor eine Wirtschaftspolitik mit möglicherweise verheerenden Konsequenzen umgesetzt wird, sollte man deren Erfolgsaussichten belegen können. Es genügt nicht zu sagen, die Zinssätze würden früher oder später fallen. Wenn ein Unternehmen erst durch zu hohe Zinssätze ruiniert ist, kann es nicht so einfach wieder auf die Beine gestellt werden.

  • Es ist größere intellektuelle Kohärenz erforderlich. Warum darf eine Regierung Märkte mit der Begründung, diese seien effizient, nicht regulieren, andererseits aber in Währungsmärkte eingreifen?

  • Wirtschaftsreformen können mitunter schmerzhaft sein, aber im Falle der Armen sollten diese Schmerzen auf ein Mindestmaß reduziert werden. Wenn Milliarden von Dollar zur Verfügung standen, um Banken den Notabsprung zu ermöglichen, warum konnten dann nicht ein paar Millionen für Lebensmittel- und Benzinunterstützung für die Not leidenden Indonesier aufgebracht werden? Wie konnte es geschehen, dass Russland durch einige wenige Oligarchen, die über vom IWF unterstützte Privatisierungsprojekte Milliarden Dollar an Vermögenswerten beiseite geschafft haben, zum Ausbluten gebracht wurde, andererseits aber nicht mehr genug Geld für magere Renten zur Verfügung hatte?
Der IWF ist trotz seiner privatwirtschaftlichen Rhetorik eine öffentliche Einrichtung, ob dies einem nun gefällt oder nicht. Beim IWF bezeichnet man Mitgliedsstaaten als Aktionäre. Aber die Politik des IWF hat in einem Maß Einfluss auf Leben und Volkswirtschaften, wie dies kein Unternehmen erreichen könnte. Als eine öffentliche Einrichtung sollte der IWF von demokratischen Prinzipien geleitet werden. Als die Weltbank auf den IWF zuging, um unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Auswirkungen der Politik in Ostasien zu diskutieren, wurde sie abgewiesen. Mit diesem Verhalten ging der IWF rücksichtslos über grundlegende ökonomische und ethische Prinzipien hinweg. Wirtschaftspolitik machen heißt zwangsläufig Kompromisse schließen. Einige politische Strategien bevorzugen bestimmte Gruppen, andere bergen ein erhöhtes Risiko. Die Entscheidung darüber, welche Wirtschaftspolitik zu verfolgen ist, wird am besten den politischen Prozessen des betroffenen Landes überlassen. Die Ironie der IWF-Position der vergangenen acht Jahre liegt darin: Während die Regierung Clinton im eigenen Land den Grundsatz des dritten Weges voranbrachte, indem sie eine aktive Rolle des Staates zur Ankurbelung des Wachstums förderte, vertrat das US-Finanzministerium auf internationalem Parkett den traditionellen Marktfundamentalismus und die Trickle-down-Theorie, wonach sich der Reichtum weniger positiv auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Allesamt Ideen, die die USA für sich selbst bereits verworfen hatten. Die neue Regierung Bush beweist hier größere intellektuelle Kohärenz. Bevor sie die Regierung übernahmen, kritisierten die Republikaner die finanzielle Unterstützung von unternehmerischen Notabsprüngen als "Wohlfahrt", und ihrem Prinzip sind sie im Fall der Türkei größtenteils treu geblieben, wenn auch nicht genug, um einen vom IWF unterstützten Notabsprung verhindern zu können. Ob das Bush-Team in dieser Richtung fortfahren wird, wenn es sich bei den gefährdeten Banken um amerikanische und nicht um deutsche handelt, steht auf einem anderen Blatt. Transparenz Die Regierung Bush und das zukünftige IWF-Team haben die Chance, sich von den gescheiterten Entwicklungs-, Übergangs- und Krisenstrategien der Vergangenheit zu lösen. Es gilt eine Politik zu entwickeln, die auf der Grundlage von Wirtschaftswissenschaft und nicht von Ideologien beruht, und dabei transparent und demokratisch vorzugehen, unter besonderer Berücksichtigung der Konsequenzen, die sich daraus für die Armen der Welt ergeben.(Copyright: Project Syndicate, Juni 2001, DER STANDARD, Printausgabe 18.6.2001)