Brutal wurden die friedlichen Schweden in die Realität geprügelt. Polizisten ohne Tränengas, ohne Wasserwerfer, ohne Gummigeschoße waren mit ihren kurzen Gummiknüppeln den Pflastersteinen und Vierkantholzknüppeln der Gewalttäter von Göteborg nicht gewachsen. In ihrer Panik griffen einige schwedische Beamte zur Pistole. Ihre Schüsse trafen einen 19-Jährigen in den Bauch und - so unken viele - die schwedische Strategie des Dialogs mit Demonstranten ins Mark. Schließlich hat sich seit der Welthandelskonferenz in Seattle im Jahr 1999 eine traurige Tradition der reisenden Randalierer eingestellt. Die Schweden hätten also ahnen können, was auf sie zukommt - genau wie nun die Italiener, die im Juli in Genua den G-8-Gipfel der wichtigsten Industrienationen ausrichten und die Österreicher, die schon Ende Juni in Salzburg Gastgeber eines Weltwirtschaftsforums sind. Da ist es nur folgerichtig, dass EU-Ratspräsident Göran Persson noch in Göteborg ankündigte, die Union werde nun eine gemeinsame Strategie gegen herumreisende Gewalttäter entwickeln. Überwachen, Grenzen schließen, festnehmen - so wird wohl das Ergebnis lauten. Auch wenn solche Maßnahmen notwendig erscheinen: Zu einer Bunkermentalität der Mächtigen dürfen sie nicht führen. Die Gefahr besteht: Schon jetzt muten alle neueren EU-Gebäude rein architektonisch an wie Festungen, die den Bürgern Ehrfurcht einflößen sollen. In wenigen Jahren werden alle Unionsgipfel in Brüssel stattfinden, über ein neues Konferenzzentrum wird bereits nachgedacht. Möglich, dass sich die EU-Granden dort einmauern und dem Schutz der durch jährlich 2500 Demonstrationen geübten belgischen Polizei anvertrauen. Schließlich war die schwedische EU-Ratspräsidentschaft immer wieder auf Widerstände gestoßen bei ihrem Vorhaben, wie bei sich zu Hause auch in der EU eine möglichst große Transparenz der Entscheidungen und Offenheit der Institutionen herbeizuführen. Nicht alle Staaten wollen sich in Brüssel von den Bürgern gerne in die Karten schauen lassen. Doch immerhin, die Schweden hatten teilweise Erfolg, zum Beispiel indem sie die anderen davon überzeugten, interne Dokumente der EU-Institutionen künftig leichter zugänglich zu machen. Und zum Glück gab es auch aus Göteborg - allen Krawallen zum Trotz - einige Signale der Dialogbereitschaft. Nicht nur der in Straßenprotesten erfahrene deutsche Außenminister Joschka Fischer betonte, dass das Gespräch mit den friedlichen EU- und Globalisierungsgegnern nötig sei. Schwedens Dialogstrategie findet also durchaus Anerkennung. Die Bürger sollten nur aufpassen, dass das Gespräch nicht zur Alibiveranstaltung verkommt und effiziente demokratische Beteiligung ersetzt. Ein Indiz für diese Befürchtung: Die EU-Chefs haben sich in Göteborg noch nicht entschließen wollen, für die nächste Reform der Union einen Konvent einzusetzen, ähnlich dem, der die EU-Grundrechtscharta ausgearbeitet hat. Stattdessen ist nur - vage - von einem "öffentlichen Forum" die Rede. (DER STANDARD, Print, 17.6.2001)