Tirana/Elbasan - Die Straße ist voller Schlaglöcher. Die Fenster sind eingeschlagen. Der Zaun ist eingerissen. An einzelnen Gebäuden schlängeln sich üppige Grünpflanzen aus Mauerlöchern. Weit hinten im riesigen Fabriksareal steht eine giftig gelb-orangefarbene Rauchwolke über dem Dach einer Halle. Es wird wieder gearbeitet im einstigen Vorzeige-Kombinat des sozialistischen Albanien. "Stahl der Partei" hieß das Werk, als es in den späten sechziger Jahren mit chinesischer Unterstützung aus dem Boden gestampft wurde. Damals beschäftigte es mehr als 10.000 Menschen, heute sind es vielleicht 500. "Stahl der Partei" war mehr als eine riesige Firma und der wichtigste Arbeitgeber der Stadt Elbasan, die heute rund 75.000 Einwohner hat. Vor 20 Jahren lebte hier kaum einer, der nicht irgendwie mit dem einzigen Stahlwerk Albaniens zu tun hatte. Neben Stahl sollte hier auch der "neue Mensch" produziert werden. Aus dem ganzen Land brachte man die Arbeitskräfte hierher. Auch der heutige Chef der Sozialisten und wahrscheinlich wichtigste Politiker des Landes, Fatos Nano, ging hier einst zur Schicht. Albanien soll zu den größten Stahlerzeugern der Welt gehören Mittlerweile ist nicht nur der stolze Name Vergangenheit. Auch die Partei, deren höherem Ruhm das Werk gewidmet war, existiert nicht mehr. Nach jahrelanger Schließung wurde das Werk 1999 an den türkischen Stahlerzeuger "Kürüm" für die Dauer von 20 Jahren verpachtet. Kürüm wurde von den albanischen Behörden frei Hand gelassen. Wichtig war allein, dass wieder Arbeit und damit ein Funken Hoffnung in der desolaten Region geschaffen wurde. Investiert wurde scheinbar nichts. Umweltschutzauflagen dürften kein drückendes Problem sein. Das Werk heißt heute schmucklos "Kürüm Steel Co". Hier werden Autowracks aus dem ganzen Land eingeschmolzen und zu Stahl verarbeitet. Albanien ist voll mit Autowracks. Sie stehen am Straßenrand, sie liegen am Berghang, sie ragen mitten aus Erdhaufen. Wenn sie eines Tages einmal alle eingeschmolzen werden, muss Albanien zu den größten Stahlerzeugern der Welt gehören. "Für uns hat sich nichts geändert" Noch ist es nicht so weit. Noch reichen knapp 500 Arbeiter, wo einst mehr als 10.000 wuselten. "Für uns hat sich nichts geändert", sagt der Arbeiter Qemal Sallier. Der Kranfahrer gehört zu den wenigen, die beim Neuanfang 1999 wieder dabei sein durften. Mit 300 Dollar (350 Euro/4.811 S) im Monat gehört er in Albanien zu den Spitzenverdienern. Nun wartet er nach 25 Jahren auf die Pension. Seine beiden Söhne versuchen längst schon ihr Glück in Italien. Aus Italien kommen die Aufträge, mit denen Asteri Boqi seine Näherei am Leben erhält. Rund 45 Näherinnen und Näher produzieren hier sechs Tage in der Woche Jeans, in denen am Ende "Made in Italy" stehen wird. Das Fabriksgebäude, in dem Boqi seinen Betrieb angesiedelt hat, wird wohl vor allem durch den guten Willen der Beschäftigten am Einsturz gehindert. Sie sind froh, dass sie überhaupt Arbeit haben. Rund 15.000 Lek netto (rund 1.500 S) bekommen sie im Monat. "Ich bin Kommunist. Es ist der Kapitalismus, weshalb ich hier sitzen muss" Verletzungsschutz gibt es keinen. Unentwegt rattern die Nähmaschinen, ziehen starke Nadeln den festen Faden durch den Stoff. Acht Stunden dauert der Arbeitstag, eine halbe Stunde ist Mittagspause. Die einzige Erholung, außer der Strom fällt aus. Das passiert so oft, dass Boqi nun einen eigenen Generator gekauft hat. 500 Hosen werden täglich genäht, sagt er. Die wahre Zahl liegt vermutlich wesentlich höher. Auf dem Weg zum Präsidentenpalast in Tirana sitzt ein alter Mann. Er hat eine Badezimmerwaage vor sich platziert. 150 Lek verlangt er für einmal Abwiegen. Die Passanten gehen ohne Interesse an ihm vorbei. 200-300 Lek nimmt er dennoch am Tag ein, sagt er. Von seiner Pension allein könne er nicht leben. Einst sei es ihm besser gegangen: "Ich bin Kommunist. Es ist der Kapitalismus, weshalb ich hier sitzen muss." (APA)