London - Mehr Sicherheitsleute, mehr Postkarten und sogar mehr Toilettenpapier hat die National Gallery in London bestellt, um für den erwarteten Ansturm auf die bisher größte britische Vermeer-Ausstellung gerüstet zu sein. "Vermeer und die Delfter Schule" vereint vom 20. Juni bis zum 16. September 75 Bilder von 28 Malern aus der holländischen Provinzstadt Delft um etwa 1660. Doch das Interesse der Besucher gilt fast ausschließlich den 13 meist kleinformatigen Bildern des Johannes Vermeer (1632-1675), darunter der Allegorie "Die Kunst des Malens" aus Wien, dem "Milchmädchen" aus Amsterdam und der "Kupplerin" aus der Gemäldegalerie Dresden. Die 13 Bilder umfassen ein Drittel von Vermeers Gesamtwerk, das gerade einmal 35 Werke zählt. Ein umstrittenes 36. Bild ("Junge Frau am Spinett") aus dem Besitz eines belgischen Kunsthändlers ist in London erstmals öffentlich zu sehen. Die National Gallery zeigt es neben zwei ähnlichen Bildern, die unbestritten von Vermeers Hand sind. Das belgische Bild soll demnächst versteigert werden und wäre - falls es echt ist - seit Jahrzehnten der erste Vermeer auf dem Kunstmarkt. Lange galt es als ein Produkt des berüchtigten Fälschers Hans van Meegeren, der in den 30er Jahren die größten Vermeer-Experten seiner Zeit täuschte. NS-Reichsmarschall Hermann Göring tauschte während des Krieges 200 geraubte Bilder gegen den einen vermeintlichen Vermeer "Christus und die Ehebrecherin", der sich nachher als Fälschung von Van Meegeren entpuppte. Neue Untersuchungen der "Frau am Spinett" haben jedoch ergeben, dass der Großteil der Farbe tatsächlich aus dem 17. Jahrhundert stammt. Attraktion Während die National Gallery in der Echtheitsfrage keine Stellung bezieht, zweifelt sie nicht daran, dass alle 270.000 Karten für die Ausstellung verkauft werden. Die Karten würden 30 Mal schneller vorbestellt als bei allen früheren Ausstellungen, sagte ein Sprecher. Um mehr Besucher einzulassen, bleibt das Museum samstags und sonntags bis 21.00 Uhr geöffnet. Anders als bei der großen Vermeer-Ausstellung 1996 in Den Haag sollen die Besucher in London jedoch nicht in Zehner-Reihen mit Operngläsern vor den Bildern stehen: Statt sonst bis zu 4.000 werden nur 3.000 Besucher pro Stunde zugelassen. Vermeer nutzte seine heute unschätzbaren Bilder unter anderem dafür, um seine Schulden beim Bäcker zu bezahlen. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen Rembrandt und Rubens ist kaum etwas über die "Sphinx von Delft" bekannt, außer dass der Maler sein Dasein in beengten Verhältnissen mit seinen vielen Kindern und einer tyrannischen Schwiegermutter fristen musste. Auf seinen Bildern hielt er bezeichnenderweise das Gegenteil seiner Lebensumstände fest: Szenen der Harmonie und Ruhe, die von andächtigen Frauenfiguren beherrscht werden. Kinder sind nicht zu sehen. Vermeers Gemälde erzielten durchaus hohe Preise, doch der Perfektionist arbeitete so akribisch, dass er vermutlich nur zwei bis drei im Jahr fertig stellte, und davon konnte er nicht leben. Als der holländische Kunstmarkt 1672 wegen eines Krieges mit Frankreich zusammenbrach, ging Vermeer bankrott.(APA/dpa)