Lugano - Der ehemalige Oberrichter Franco Verda musste im Gerichtssaal in Lugano, der Finanzmetropole des Schweizer Kantons Tessin, auf der Anklagebank Platz nehmen. Dort, wo Verda früher zu sitzen pflegte, führt nun die junge Richterin Giovanna Roggero die Regie in einem aufsehenerregenden Prozess um Korruption und Zigarettenschmuggel, um Begünstigung und um einen italienischen Mafioso, der sich einen sicheren Aufenthalt und Schutz vor der italienischen Justiz erkauft haben soll. Bis zu seiner Absetzung im Vorjahr war Verda Präsident des Tessiner Strafgerichts, der oberste Strafrichter des Kantons. Gleichzeitig unterhielt er jahrelang freundschaftliche Beziehungen zu dem im Tessin lebenden Italiener Gerardo Cuomo, obwohl er wissen musste, dass dieser in seinem Heimatland wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation gesucht wird. Cuomo soll zusammen mit dem italienischen Mafiaboss Francesco Prudentino einen Zigarettenschmuggel via Montenegro betrieben haben. 1995 beschlagnahmte die Justiz im Tessin nach Informationen der Anti-Mafia-Behörde von Bari 3,2 Millionen Franken (zwei Millionen Euro), die aus diesen Geschäften stammten. 1999 entschied Verda, die Hälfte dieses Geldes wieder an Prudentino zurückzugeben, da die kriminelle Herkunft nicht erwiesen sei. Auf Umwegen floss von diesem Geld wiederum die Hälfte, 800.000 Franken, an Verda und an dessen Lebenspartnerin Desiree Rinaldi. Ob das Geld bloss ein Darlehen für den in Finanznot steckenden Verda war, oder ob sich Cuomo damit Protektion gegenüber der italienischen Justiz erkaufen wollte, soll nun geklärt werden. Das Urteil wird für Freitag erwartet. Danach wird Cuomo ausgeliefert: Ihn erwartet ein Prozess wegen Zigaretten- und Waffenschmuggels. Der Verfahren in Lugano rückt die wichtige Rolle der Schweiz im internationalen Tabakschmuggel ins Licht der Öffentlichkeit. Seit langem kritisiert die EU, die Schweiz zeige sich bei der Bekämpfung des Zigarettenschmuggels und im Kampf gegen den Zoll-und Subventionsbetrug zu wenig kooperativ; der EU entgingen dadurch jährlich Milliardenbeträge. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.6.2001)