Die Ur-CD von 1978 ging als die meist verkaufte audiophile Platte in die Geschichte ein: 800.000 Käufer setzten sich bewusst dem Nervenkitzel und Risiko aus, ihre Lautsprecher-Chassis durch die Luft fliegen zu sehen oder ihre Fensterscheiben neu verglasen zu müssen. "Achtung! Digitale Kanonen!" prangte als Warnung auf der CD, und gerade das war die Herausforderung: Würde die HiFi-Anlage Tschaikowskys hinterlistig einkomponierte Kanonenschläge - 16 an der Zahl - überleben? Und wie lange? Immerhin reichten die Böller-Frequenzen bis unter 15 Hz hinab, womit diese CD auch die Charts der bass-stärksten Aufnahmen aller Zeiten anführte. Nun kommt die Nachfolgerin in neuester DSD-Aufnahmetechnik. Mit demselben Dirigenten Erich Kunzel, dann wieder mit dem Cincinnati Pops Orchestra und natürlich den Kanonen des Fünften Virginia-Regiments . Neu sind der Symphonie-Chor Kiew und das Glockenspiel der Covenant-Kirche in Cleveland, die zu Tschaikowskys Ouvertüre in der größtmöglichen Fassung dazu gehören. Vom Masterband wurden drei Disc-Formate abgeleitet: die CD und die beiden neuen Disc-Formate DVD-Audio und Super-Audio-CD. Während SACD wie DVD-A gar Surroundton enthalten, liefert die CD ein Stereo-Klangbild, das perfekt die Verfeinerung der Aufnahmetechnik in den vergangenen 22 Jahren zeigt. Das Orchester wirkt nun plastischer, massiver, vor allem die Klangfarben der Bläser kommen eindrucksvoll zur Geltung. Die Kanonenschläge donnern noch heftiger (auf der SACD sogar wie bei Münchhausen über den Kopf der Zuhörer hinweg). Auf jeden Fall heißt es, wenn einen die tiefe Trommel ab 9:45 nicht schon nachdrücklich gewarnt hat, ab 12:30 - vor dem Kanonen-Furioso - den Lautstärke-Regler zurück zu drehen. Zügig, bitte. Nach dem Ersthören können Sie wieder die Dosis steigern. Es hängt allerdings alles von der Güte Ihrer Anlage und den Möglichkeiten Ihrer Haushaltsversicherung ab. Die Neu-Fassung bietet insgesamt ein noch wilderes Spektakel als ihre Vorgängerin. Und sie dauert auch länger, da hier zum Capriccio Espagnol und dem "Mazeppa"-Kosakentanz noch der Slawische Marsch, der Festliche Krönungsmarsch und der Walzer und die Polonaise aus "Eugen Onegin" dazu kommen. Für Wagemutige. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 6. 2001)