Der Entwurf zum Parteiprogramm, das die Grünen beim Bundeskongress Anfang Juli beschließen wollen, liest sich über weite Strecken seltsam farblos und uninspiriert. Wer sich Visionen für eine deutlich grünere Zukunft erwartet, wird ziemlich verstört zurückgelassen.

Dabei wird auch der geneigte Leser den Eindruck nicht los, als hätten die Verfasser die Substanz über Jahre hinweg gesammelter grüner Inhalte so lange durch einen Filter gepresst, bis ein blasses Substrat herausgekommen ist, das in seiner Verdünnung einem möglichst breiten Geschmacksspektrum zumutbar sein soll.

Dahinter kann die einfache strategische Überlegung stehen, einen möglichst machtkompatiblen Entwurf zu erstellen, der bei einer - und sei es zurzeit nur peripher absehbaren - Regierungsbeteiligung nicht als unfangbarer Bumerang zurückkommt. Die Grünen in Deutschland haben beeindruckend bewiesen, wie eine Regierungspartei, die sich allein aus ihrem Selbstverständnis nicht völlig den ominösen Sachzwängen der Macht beugen kann, am ideologischen Kleister kleben bleibt, der im Programmtopf angerührt wurde. Gerade die Fehler der deutschen Freunde suchen die österreichischen Grünen ja peinlich zu vermeiden.

Deutlich jedenfalls ist die Absicht zu erkennen, die Akzentsetzung grüner Politik so breit zu streuen, dass die Grünen für ein in allen Parteien vertretenes Publikum wählbar werden. Das ist natürlich legitim und mit dem einfachen Argument zu verteidigen, dass eine Partei, die aktiv verändern will, keine Scheu vor populären, stimmenmaximierenden Strategien haben darf.

Allerdings begibt man sich damit auf ein dünnes Seil, das schon jetzt unter dem Gezerre verschiedenster Kräfte zu schwanken beginnt. Da wäre an erster Stelle jene Gruppe innerhalb der eigenen Partei zu nennen, die dem Programmentwurf ein eigenes Konzept entgegenhält, das ganz anders zur Sache geht.

Als historische und soziologische Analyse exzellent, als politische Handlungsanleitung - je nach Ansicht - naiv bis illusionistisch, greift es inhaltlich auf grüne Grundsätze zurück, die im offiziellen Entwurf vorsichtig ausgespart blieben. Dazu nur ein Beispiel: Während im "offiziellen" Programm zwar die Unvereinbarkeit von Neutralität und Nato-Beitritt unterstrichen wird, ist von der Rolle des österreichischen Bundesheeres keine Rede - weder in einem europäischen Sicherheitskonzept noch im ausschließlich nationalen Kontext.

Der Alternativentwurf spricht dagegen klar von einer "schrittweisen Abrüstung der Nationalstaaten" und für eine Abschaffung der Wehrpflicht sowie die "Reduzierung des Bundesheeres auf eine Freiwilligen-Miliz". Ähnlich ausgeprägt sind die definitorischen Tiefenschärfen in Teilbereichen des grünen Wertekatalogs, etwa bei der "Selbstbestimmung" und dem "Feminismus".

Unzweifelhaft scheint den Grünen also ein kräftiger Richtungsstreit ins Haus zu stehen. Dabei wird sich zum einen zeigen, ob im Gegenentwurf zum Grundsatzprogramm das Meinungsbild einer Splittergruppe gezeichnet wurde oder ob es doch Ausdruck größerer Unzufriedenheit mit dem pragmatischen Kurs ist, den die Grünen mit Alexander Van der Bellen eingeschlagen haben. Auf den Bundessprecher kommt jedenfalls eine Bewährungsprobe zu, die viel über die substanzielle Beschaffenheit seiner Führungsqualitäten aussagen wird - und das zu einem Zeitpunkt, wo es nur wenige erwartet hätten.

Ohne Zweifel wird vor allem sein optionaler Koalitionspartner aufmerksam beobachten, wie Van der Bellen mit der ungewohnten Situation fertig wird. Zum ersten Mal sieht er sich mit einem Angriff aus den eigenen Reihen konfrontiert, denn nichts anderes ist die Ablehnung eines Programms, unter dessen Vorwort seine Unterschrift steht. Zum ersten Mal auch wird nicht so genau hingeschaut werden, was Van der Bellen macht, sondern vor allem, wie er es tut.
(DerStandard,Print-Ausgabe,22.6.01)